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Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer.

© dpa

Der Fall Alice Schwarzer: So hetzt die Presse - nicht

Denunzierung, Rufschädigung, Dammbruch für die Medien, Persönlichkeitsverletzung - so sieht Alice Schwarzer die Berichterstattung über ihre Steuerhinterziehung. Ein Blick in den Blätterwald. Und auf ein knapp drei Jahre altes Interview mit Schwarzer über Geld.

Von Lutz Haverkamp

Alice Schwarzer hatte sich am Sonntag dazu bekannt, seit den 80er Jahren ein Schweizer Konto gehabt und es erst im vergangenen Jahr beim Finanzamt angezeigt zu haben. Für die vergangenen zehn Jahre habe sie insgesamt etwa 200 000 Euro an Steuern nachgezahlt - plus Säumniszinsen. Jetzt wirft sie der Presse eine Kampagne gegen sie vor. Ihr Anwalt, der Medienrechtler Christian Schertz, hat nach der ungewollten Veröffentlichung des Themas juristische Konsequenzen angekündigt. Geprüft würden etwa strafrechtliche Schritte, weil das Steuergeheimnis verletzt worden sei. Schertz sieht eine "unerträgliche Verletzung des Steuergeheimnisses und der Persönlichkeitsrechte von Alice Schwarzer". Zu Recht?

"Alice Schwarzer hat immer für Gerechtigkeit gekämpft. Und für die Frauen! Sie tut es heute noch. Und das ist richtig!", schreibt der Kommentator der "Bild". Der erhobene Zeigefinger sei dabei ihr ständiger Begleiter gewesen. "Sie wurde zum Idol von Frauen, die ausgebeutet wurden. Die erst mit dem Pfennig rechnen mussten, dann mit dem Cent, die unter Schulden ächzten. Eine Frau, die mit höchstem moralischen Anspruch kämpft, diesen zu ihrer schärfsten Waffe macht, darf kein unversteuertes Vermögen in der Schweiz bunkern. Das geht einfach nicht! Diese Tat trifft nicht nur ihren guten Ruf. Es trifft die Frauen, die ihr stets vertrauten. Da ist es peinlich, dass Schwarzer sich jetzt als Verschwörungsopfer sieht. Als sei die Sache rausgekommen, weil sie gegen Ehegattensplitting ist und Prostitution mit aller Leidenschaft bekämpft. Nein, Alice Schwarzer ist nicht das Opfer eines Rachefeldzugs. Sie ist ein Opfer ihrer selbst!"

Die "Rhein-Neckar-Zeitung" aus Heidelberg kommentiert: "Wird nun ihre Stimme in der Kampagne gegen Prostitution auch nur ein bisschen weniger gehört werden? Kaum vorzustellen. Daher klingt ihre Klage, die Enthüllung sei ein politisch motivierter Rufmord ("gerade jetzt"), doch ein Stück zu weit hergeholt. Auch wenn es vielleicht kein Zufall ist, dass ausgerechnet ein Magazin zugriff, das mit Schwarzer etwa im Fall Kachelmann öffentlich über Kreuz lag. Das hat dann aber eher mit schlechtem Stil als mit Verschwörung zu tun. Und wodurch hat sich Schwarzers "Unrechtbewusstsein an dem Punkt erst in den letzten Jahren geschärft"? Dadurch, dass über die Fälle prominenter Steuerhinterzieher berichtet wurde.

"Alice Schwarzer ist Person des öffentlichen Lebens und kennt die Gesetze. Und nun das. Ja, die gesellschaftliche Stimmung hat sich grundlegend verändert. Eine erkennbare Lust an der Hatz bei Fehlverhalten ist spürbar", kommentiert "Die Welt". Und natürlich finde sich immer etwas bei den Erfolgreichen, deren Wohlstand unter Generalverdacht stehe. "Wenn aber Personen, die sich selbst anzeigen, die dem Finanzamt nachzahlen und damit einen Fall außergerichtlich bereinigen, nicht sicher sein können, dass ihr „Fall“ diskret behandelt wird, dann ist dies eine eklatante Verletzung des Steuergeheimnisses und der Persönlichkeitsrechte. Und es schadet dem Ansinnen, mit dieser Zwischenregelung alte Missstände zu beheben und eine neue, steuerehrlichere Ära zu beginnen."

Die "Tageszeitung" sieht Schwarzer im Unrecht: "Schwarzer dichtet ihre Steuerflucht in eine Flucht aus politischen Gründen um. Die 'Hatz' gegen sie hätte damals 'solche Ausmaße' angenommen, dass sie 'ernsthaft' dachte, dass sie vielleicht ins Ausland gehen 'muss'. Daher hätte sie ihr Geld vorsorglich über die Grenze geschafft. Schwarzer schreckt also nicht davor zurück, sich als politisch Verfolgte aufzuplustern – und sich damit implizit mit den Opfern im Dritten Reich zu vergleichen. Während Schwarzer größtes Verständnis für sich selbst aufbringt, ist sie fassungslos, dass der 'Spiegel' über ihre Steuerflucht berichtet hat.

Schwarzer selbst machte ihrem Unmut am Wochenende auf ihrer Homepage Luft: "Ja, ich habe einen Fehler gemacht, ich war nachlässig. Aber ich habe den Fehler wieder gutgemacht. Ich habe für die letzten zehn Jahre gesamt rund 200.000 Euro Steuern nachgezahlt, plus Säumniszinsen. Der Fall ist damit auch aus Sicht der Steuerbehörde bereinigt. Mit welchem Recht also jetzt diese Denunzierung?", fragt die Feministin. "In meinem Fall wurde die Information von einem Informanten aus der Schweiz, wie es heißt, gleich mehreren Redaktionen gesteckt, nacheinander - damit es einer sicher bringt. Mehrere Medien hatten sich entschlossen, aus rechtlichen wie ethischen Bedenken, von einer Veröffentlichung Abstand zu nehmen. Der Spiegel allerdings mochte der Versuchung nicht widerstehen. Er pfeift darauf, dass er damit illegal handelt. Darum werde ich jetzt selber etwas dazu sagen. Rufschädigung? Klar. Zu viele haben in meinem Fall ein Interesse daran. Ein politisches Interesse. Und ich frage mich, ob es ein Zufall ist, dass manche bei ihrer Berichterstattung über mich gerade jetzt auf Recht und Gesetz pfeifen? (...) Doch so ein Schritt ist auch ein Dammbruch für die Medien. Mit einem Präzedenzfall Schwarzer wird in Sachen Persönlichkeitsschutz die eh schon tiefe Latte noch niedriger gehängt. Illegal? Persönlichkeitsverletzung? Na und!"

Im Mai 2010 gab Schwarzer der Süddeutschen Zeitung ein Interview. "Reden wir über Geld: Alice Schwarzer" ist es überschrieben. Wir dokumentieren einige Auszüge:

SZ: Sie haben für die Bild-Zeitung geworben. Viele warfen Ihnen einen Verrat an den eigenen Idealen vor.

Schwarzer: Ich scheine der letzte Mensch zu sein, dem man noch Ideale zutraut. Es war eine Imagekampagne von Bild.

(...)

SZ: Gehen Frauen anders mit Geld um als Männer?

Schwarzer: Sicher, das belegen auch viele Studien. Frauen haben ja noch gar nicht lange eigenes Geld. Bis 1958 verlor eine deutsche Frau ihr Vermögen, wenn sie einen Mann heiratete. Wenn sie sich scheiden ließ, hatte sie gar nichts mehr. Und erst 1922 durfte die erste Frau in Deutschland eine Börse betreten. Viele Frauen sind es noch immer nicht gewöhnt, überhaupt eigenes Geld zu haben oder mehr zu verdienen, als sie zum Leben brauchen. Wir Frauen müssen also noch lernen, mit Geld umzugehen.

(...)

SZ: Drei Viertel der heute 40- bis 55-jährigen Frauen droht eine Rente unter Hartz-IV-Niveau.

Schwarzer: So ist es: das Grauen. Frauen sind leider über Generationen gewöhnt, ökonomisch abhängig zu sein und irgendwie aufgefangen zu werden. Sie sind es immer noch nicht gewöhnt, eine eigenständige Alterssicherung zu planen. Es ist zum Verzweifeln.

SZ: Dies wird Ihnen nicht passieren?

Schwarzer: Ganz bestimmt nicht. Ich finde alt sein, Frau sein und arm sein ist mindestens ein Faktor zu viel (lacht).

(...)

SZ: Sind Männer an der Finanzkrise schuld?

Schwarzer: Wer das nicht sehen will, dem ist nicht zu helfen. Das ist doch eindeutig: Die internationalen Finanzen, die haben die Jungs an die Wand gefahren. Dabei geht es natürlich um Profit. Aber es ist auch ein scheinbar irrationales Moment darin: Es geht um die Erotik der Macht. Diese Männer haben längst den Bezug zum Leben verloren. Sie klicken virtuelle Summen mit sechs, sieben, acht Nullen - und wundern sich, wenn sie plötzlich vor den realen Scherben stehen. Das Katastrophale ist, dass Millionen Menschen das dann mit ihren Steuern und ihren Jobs ausbaden müssen. (mit dpa)

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