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Politik: Solidarpakt: "Es geht uns allen besser" Biedenkopf zu zehn Jahren Einheit

Kurt Biedenkopf (70) ist seit 1990 Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, nachdem er als spektakulärer "Westimport" von der sächsischen CDU zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl nominiert worden war. Zuvor war er im Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen gescheitert.

Kurt Biedenkopf (70) ist seit 1990 Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, nachdem er als spektakulärer "Westimport" von der sächsischen CDU zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl nominiert worden war. Zuvor war er im Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen gescheitert. Von Dresden aus übte er zuweilen massiv Kritik an der Regierung Kohl. Bis heute setzt er sich vor allem für die schwachen der neuen Länder ein.

Herr Ministerpräsident, wie lange werden die neuen Bundesländer noch auf den Solidaritätsbeitrag angewiesen sein?

Das ist schwer voraus zu sagen. Man kann den Solidaritätsbeitrag, der ja Teil der Einkommenssteuer ist, abschaffen und stattdessen die Einkommensteuer entsprechend erhöhen, so dass dasselbe dabei herauskommt. Aber es geht weniger um den Solidarbeitrag, den wir auch im Osten zahlen, als um den Solidarpakt. Auf ihn werden wir noch länger angewiesen sein. Denn es wird noch eine ganze Weile notwendig sein, aus öffentlichen Mitteln des stärkeren Teils Deutschlands den Aufbau und die Lebensfähigkeit der ostdeutschen Länder und Gemeinden zu unterstützen. Allerdings wird die Nachfolge des Solidaritätspaktes mit Sicherheit nicht die gleiche Dimension haben. Die neue Regelung wird stärker auf Investitionen ausgerichtet sein müssen, weil wir in Ostdeutschland noch immer ein beachtliches Investitionsdefizit haben. Daneben brauchen die ostdeutschen Länder Unterstützung bei der Finanzierung der staatlichen Aufgaben. Denn die Steuereinnahmen der neuen Länder liegen bei 35 Prozent, in den alten Ländern bei 75 Prozent ihrer Haushalte.

Das klingt, als wäre die finanzielle Assistenz noch mindestens 20 Jahre notwendig?

Das Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf der Bevölkerung ist vor der Wende in der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig angestiegen. Als Ostdeutschland mit 15 Millionen Menschen hinzukam, fiel das BIP. 1997 etwa war es wieder auf dem Ausgangsniveau. Das heißt, Gesamtdeutschland hat die Einheit verdaut. Das BIP steigt nun wieder wie vor 1989, und wir sind weit über das Niveau 1990 hinaus. Die Transferkosten sind in unserer gesamtvolkswirtschaftlichen Rechnung verkraftet.

Aber das muss weitergeführt werden?

Wir werden für eine längere Zeit einen gewissen Finanzausgleich brauchen. Den gab und gibt es auch unter den westdeutschen Ländern. Aber wir werden in den nächsten zehn Jahren immer stärker auf eigenen Füßen stehen können.

Wie schätzen Sie die Solidarität in Westdeutschland angesichts der zehnjährigen Belastung ein - nimmt sie ab?

Die nationale Solidarität, die vor allem der Westen geübt hat, nimmt nicht ab. Das hängt auch damit zusammen, dass die Leistungen nicht aus der Substanz erbracht wurden, sondern aus dem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts. Der Westen hat auf einen Teil des Zuwachses verzichtet, aber durch die Einheit und den Aufbau Ost auch gewonnen. Inzwischen hat das geeinte Deutschland den Wachstumseinbruch längst verkraftet. Es geht uns trotz der Lasten, die der Aufbau Ost noch mit sich bringen wird, allen besser.

Nun geht es dem Land Sachsen besser als beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern. Wie können die finanzschwächeren Ostländer Solidarität zeigen?

Bis 1995 hatten wir mit dem "Fonds Deutsche Einheit" einen Solidaritätsausgleich der neuen Länder. Heute läuft das im Rahmen des gesamten Länderfinanzausgleichs weiter. Aber die Unterschiede sind bei uns längst nicht so groß wie zwischen den alten Bundesländern.

Haben sich die Westdeutschen, die in den neuen Bundesländern Karriere gemacht haben, integriert?

Zum großen Teil ja. Sie haben ihre Familien hergeholt und neu angefangen. Das ist aber nichts neues. Als ich acht Jahre alt war, ist mein Vater von Ludwigshafen nach Schkopau bei Halle gezogen. Dort war für uns alles fremd. Dann haben wir die Geschichte und Kultur kennen gelernt, und nach ein paar Jahren hat die Familie sich so wohl gefühlt, dass wir nicht wieder weg wollten.

Und warum sind bis heute so wenig Ostdeutsche in Spitzenpositionen zu finden?

Weil die SED-Herrschaft in der DDR 40 Jahre lang die Menschen unterdrückt und vertrieben hat, die ein Land auch braucht, um im Wettbewerb zu bestehen und eine freiheitliche Gesellschaft zu gestalten. Der größte Verlust Ostdeutschlands an Westdeutschland ist der Verlust der Leistungsträger: nicht nur Spitzeneliten, sondern Facharbeiter, Kaufleute, Ingenieure, die Manager, die Unternehmer. Das waren allein bis zum Mauerbau 1961 rund drei Millionen Menschen aus der alten DDR.

Und deshalb steht das Prädikat "ostdeutsch" bis heute für "geringer qualifiziert"?

Die Menschen im Osten sind nicht geringer qualifiziert. Im Gegenteil: Sie haben einen Umbruch und Veränderungen verkraftet, die man in Westdeutschland kaum verkraftet hätte. Aber sie sind 40 Jahre lang um die Möglichkeit betrogen worden, die Fähigkeiten zu entwickeln, die man für marktwirtschaftliche Ordnungen braucht. Inzwischen haben sie schon kräftig aufgeholt. Das negative Bild, das vielfach von ihnen gezeichnet wird, ist nicht gerechtfertigt.

Welches negative Bild meinen Sie?

Zum Beispiel die Behauptung, die Ostdeutschen seien staatshörig. Es mag im Osten 5 bis 10 Prozent mehr Menschen geben, die sagen, der Staat muss für Arbeit und Wohnen und Alter und Kindererziehung sorgen. Das ist in Ost und West kein großer Unterschied.

Und beim Thema Rechtsextremismus? Wird der Osten da auch ungerecht behandelt?

Mir geht es darum, Klischees zu widerlegen: In Sachsen haben noch keine Häuser gebrannt, in denen Menschen aus dem Ausland wohnten. In Sachsen hat es alles das, was es anderswo in Deutschland an Schrecklichem gegeben hat, so noch nicht gegeben. Es wird über Ostdeutschland einfach nicht mit denselben Maßstäben gerichtet wie über Westdeutschland.

Kommen wir zu den Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der deutschen Einheit, die jetzt in Dresden stattfinden. Wie erklären Sie sich die Kritik an Ihrer Person wegen des Gezerres um Redner und Ablauf?

Dafür hab ich keine Erklärung.

Würden Sie anders planen, wenn Sie 2005 den 15. Jahrestag auszurichten hätten?

Bei Ihrer Frage geht es wohl um Helmut Kohl. Ich habe ihn persönlich eingeladen. Er hat sicher sieben Wochen später abgesagt. Die Rednerliste entspricht der bisherigen Praxis. Übrigens hat Helmut Kohl auch nicht geredet, als der 5. Jahrestag der Einheit begangen worden ist. Den letzten DDR-Ministerpräsidenten de Maiziere habe ich um einen kurzen Beitrag gebeten, damit wir nicht in Dresden feiern, ohne dass ein Redner mit ostdeutscher Herkunft zu Wort kommt.

Läuft die CDU Gefahr, dass ihr die Verdienste um die deutsche Einheit als politischer Erfolg genommen werden, weil Schröder als Vollender auftritt?

Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in einen provinziellen Streit darüber verwickeln, wem das größte Verdienst an der Einheit zukommt und darüber verpassen, dass es die Menschen in Ostdeutschland waren, die die SED-Diktatur überwanden und die Türe nach Westen öffneten. Sie, die Menschen, die gegen die Unfreiheit auf die Straße gingen, sind die Architekten der Einheit.

War es von Unionsfraktionschef Merz geschickt, der SPD in der jüngsten Haushaltsdebatte bestenfalls die Rolle des Geschichtsfälschers, oder noch garstiger, die der vaterlandslosen Gesellen zuzuschreiben?

Haushaltsdebatten haben ihre eigene Gesetzmäßigkeit. Wenn während einer Etatdebatte im Parlament historische Bewertungen hochkochen, sind sie meistens nicht bis ins Detail fundiert oder abgewogen. Aber die Sozialdemokraten haben bis einschließlich 1990 die deutsche Einheit nicht befördert, das ist ein historisches Faktum. Auch Gerhard Schröder hatte es als Spinnerei bezeichnet, an die Einheit zu glauben. Es gehört zum großen Verdienst Helmut Kohls, dass er sich nicht hat beirren lassen und jede Relativierung des Wiedervereinigungsgebots in der Verfassung zurückgewiesen hat. Einige SPD-Länder haben gegen den Staatsvertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion gestimmt, glücklicherweise, ohne ihn aufhalten zu können. Denn jede Verzögerung hätte uns um Jahre zurückgeworfen.

Herr Ministerpräsident[wie lange werden die]

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