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Soziales: Wissenschaftler warnen: Gesellschaft spaltet sich

Mit wachsender Sorge beobachten Wissenschaftler das Auseinanderdriften der Gesellschaftsschichten. Symptome dafür sehen sie in "ausbildungsmüden" Hauptschülern, sinkenden Einkommen trotz Aufschwungs und der Tatsache, dass Ärzte keine Krankenschwestern mehr heiraten.

Durch die wachsenden Einkommensunterschiede in Deutschland droht nach Meinung von Arbeitsmarktforschern und Soziologen eine Spaltung der Gesellschaft. Die lange Zeit verbreitete Zuversicht, dass sich Leistung lohne und sozialen Aufstieg ermögliche, weiche zunehmend der Angst vor dem Absturz, berichtete der Direktor des Düsseldorfer Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn. "Diesen Optimismus von früher gibt es nicht mehr", unterstrich der Wissenschaftler bei einer Veranstaltung der Bundesagentur für Arbeit (BA) zum Thema "Wieviel Ungleichheit verträgt das Land?".

Zugleich schotte sich die Mittel- und Oberschicht gegenüber der Unterschicht immer mehr ab. "Das ist beispielsweise auf den Heiratsmärkten deutlich zu beobachten: Vor 30 Jahren heiratete der Chefarzt gerne die Krankenschwester, heute heiratet er die Kollegin", sagte Horn. Nach Beobachtungen des Kasseler Makrosoziologen Heinz Bude führt die wachsende Perspektivlosigkeit dazu, dass ganze Gruppen der Gesellschaft den Rücken kehrten. So berichteten Hauptschullehrer, dass 20 Prozent ihrer Schüler "ausbildungsmüde" seien.

Einkommen und Leistung gehören nicht mehr zusammen

Belastet wird das aktuelle gesellschaftliche Klima nach Budes Einschätzung auch dadurch, dass immer mehr Menschen den Eindruck bekämen, dass hoher Arbeitseinsatz und Fleiß nicht unbedingt gute Einkommen sichern. Nach Erkenntnissen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sind vor allem Kapitalanleger die Gewinner des aktuellen Aufschwungs, nicht jedoch Familien mit normalen Arbeitseinkommen. "Es gibt inzwischen eine Entkopplung von Einkommen und Leistung, die für mich nicht nachvollziehbar ist", sagte IAB-Chef Joachim Möller.

Ein "unerfreuliches Phänomen" der aktuellen Wirtschaftsentwicklung ist für Möller und Horn der Umstand, dass die real verfügbaren Einkommen normaler Familien im aktuellen Aufschwung gesunken sind. "Das hatten wir in früheren Aufschwungphasen nicht", betonte Bude. Das Gefühl vieler Menschen, vom Aufschwung nichts abbekommen zu haben, werde damit von den Fakten bestätigt. Als Alternative forderten die Wissenschaftler mehr Geld für Bildung und ein durchlässigeres Schulsystem, das auch Kindern unterer Schichten entsprechende Bildungschancen eröffne. Bude sprach sich zudem für eine Stärkung der Gewerkschaften im Kampf um mehr Verteilungsgerechtigkeit aus. Diese gerate zusehends aus dem Lot. (ut/dpa)

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