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Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Deutschen Demokratischen Republik (BStU).

© dpa

DDR-Vergangenheit: Stasi-Aufarbeitung soll zerlegt werden

Heute stellt die Expertenkommission zur Stasi-Unterlagen-Behörde ihren Bericht vor und wird eine Auflösung empfehlen. Die geplante Reform löst eine Debatte aus. Am Ende muss der Bundestag entscheiden.

Eine vom Bundestag eingesetzte Expertenkommission zur Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde stellt an diesem Dienstag in Berlin ihre Empfehlungen vor. Nach den Eckpunkten, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen, soll die vor mehr als einem Vierteljahrhundert gegründete Behörde in der jetzigen Form nicht weiterbestehen. Die Stasi-Akten sollen in das Bundesarchiv überführt sowie eine Stiftung „Diktatur und Widerstand. Forum für Demokratie und Menschenrechte“ gegründet werden, wie es in dem Papier heißt.

Installiert werden soll demnach auch ein „Bundesbeauftragter für die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und ihren Folgen“. Das Papier soll noch diskutiert werden, bevor der Bundestag entscheidet. Der frühere CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, wird als Leiter der Kommission zusammen mit dem SPD-Politiker Richard Schröder in der Bundespressekonferenz erwartet. Zuvor soll der Bericht an Bundestagspräsident Norbert Lammert übergeben werden.

Inzwischen wurde bekannt, dass ein Mitglied der Expertenkommission die Vorschläge nicht mitträgt. Die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Hildigund Neubert ist dagegen, dass die Stasi-Akten ins Bundesarchiv kommen. Nach ihrer Ansicht gehören dort nur Papiere hin, die nicht mehr aktuell benutzt werden.

In der „Welt“ hatte Neubert gesagt, es sei das falsche Signal, die Stasi-Unterlagen-Behörde als Institution der Freiheit zu schleifen. „Die 1989 begonnene Tradition der Aufarbeitung wird beschädigt, das Flaggschiff der DDR-Aufarbeitung versenkt.“ Neubert, bis 2013 in Thüringen Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, hat ein Minderheitenvotum zu den Empfehlungen verfasst.

Auch der Leiter der Berliner Stasiopfer-Gedenkstätte, Hubertus Knabe, äußerte sich kritisch. Nach dem, was bislang bekannt wurde, wirke das Papier wie ein mühsam ausgehandelter politischer Kompromiss, ohne Probleme zu lösen, sagte Knabe der dpa. Er sehe die vorgeschlagene Zerlegung der Stasi-Unterlagen-Behörde mit großer Sorge und befürchte, dass sich die Möglichkeiten der DDR-Aufarbeitung verschlechtern könnten. An den Empfehlungen habe nicht ein einziges Stasiopfer mitgewirkt. Der Historiker forderte eine öffentliche Anhörung im Bundestag.

Kritiker befürchten, dass der Aufarbeitung die Spitze genommen wird

In der Stasi-Unterlagen-Behörde selbst hieß es nur, „wir begleiten den Prozess mit großem Interesse“. In einem dpa-Gespräch hatte der Leiter der Behörde, Roland Jahn, Ende März gesagt, er sehe die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit auch für die Zukunft als gesichert. „Ich befürchte nicht, dass da etwas verschwindet – ganz im Gegenteil. Veränderung ist eine Chance. Es wird neue Impulse geben“, hatte Jahn betont.

Die Außenstellen der Stasi-Unterlagen-Behörde in den früheren Bezirksstädten Erfurt, Gera und Suhl sollen aus Sicht der Thüringer CDU erhalten bleiben. „Die Verankerung der Außenstelle in ihren regionalen Bezügen ist im Sinne der SED-Opfer und der Bildungsarbeit ein hohes Gut, das wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen dürfen“, sagte der Beauftragte der CDU-Fraktion für die Opfer der SED-Diktatur, Herbert Wirkner, am Montag in Erfurt.

Für Wirkner sprechen die mehr als 510.000 seit 1990 in Thüringen gestellten Anträge zur persönlichen Akteneinsicht eine deutliche Sprache. „Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Schicksal ist für viele Ausspionierte, Verfolgte und Drangsalierte nicht allein eine Frage der ganz privaten Aufarbeitung und Bewältigung. Sie ist genauso ein Weg, das unmenschliche Wesen des SED-Unrechtssystems zu begreifen“, sagte der CDU-Landtagsabgeordnete. Er erinnerte daran, dass 2015 in Erfurt 4954 Anträge gestellt worden sind, in Gera 2175 und in Suhl 2988.

Eine wichtige Funktion der Außenstellen besteht nach den Worten des Opfer-Beauftragten auch in der Bildungsarbeit. „Die örtliche Nähe zu Taten, Tätern und Opfern ist eine große Chance, auch die Menschen zu erreichen, die von diesem Unrecht nicht betroffen waren oder durch ihr Alter nicht mehr betroffen sein können.“ Anschaulichkeit könne gerade jungen Menschen helfen, ein Thema zu verstehen, zu dem der zeitliche Abstand immer größer werde. „Wir haben viel zu verlieren, wenn es nun auch noch räumlich auf Distanz geht“, fügte er hinzu.

Der Kommunismus-Opferverband (UOKG) fordert Klarheit über die künftige Rolle des Stasi-Unterlagen-Beauftragten Roland Jahn. „Auch bei sinnvollen Veränderungen ist es erschreckend, wie unsensibel und gleichgültig Teile der Politik mit dem Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde umgehen“, sagte der UOKG-Vorsitzende Dieter Dombrowski. Die mögliche Entlassung von Roland Jahn werde von den Opfern als ein Versuch gewertet, der Aufarbeitung des SED-Unrechts die Spitze zu nehmen. Der dann zuständige „Bundesbeauftragte für die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur und ihren Folgen“ werde der Planung zufolge in seinen Kompetenzen geschwächt. (dpa/epd)

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