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Statistik: Der Nettolohn steigt doch

Entgegen anders lautender Meldungen haben Deutschlands Arbeitnehmer in den letzten 15 Jahren ihr reales Nettoeinkommen trotz Inflation, steigender Sozialabgaben und hoher Arbeitslosigkeit im Schnitt offenbar erhöhen können.

Von Antje Sirleschtov

Der durchschnittliche Netto-Stundenlohn stieg nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von 1991 bis 2006 von 11,08 Euro auf 11,76 Euro, was einem Gesamtanstieg von 6,2 Prozent entspricht. Allerdings – und das ist die schlechte Nachricht – haben von diesem Anstieg überproportional Facharbeiter und Angestellte profitiert. Wer schlecht ausgebildet ist und daher nur einfache Tätigkeiten ausführen kann, muss heute in etwa mit dem gleichen Nettoeinkommen auskommen wie vor 15 Jahren.

Die Statistiker des Bundesamtes korrigieren damit indirekt Angaben aus dem sogenannten statistischen Taschenbuch des Bundesarbeitsministeriums, aus denen zum Wochenbeginn der Schluss gezogen wurde, dass Deutschlands Arbeitnehmer netto heute so viel verdienen wie vor rund zwei Jahrzehnten. Insbesondere die Methode der Statistik des Arbeitsministeriums wird vom Wiesbadener Bundesamt als „verzerrt“ dargestellt. So habe das Arbeitsministerium bei seiner Pro- Kopf-Zusammenstellung außer Acht gelassen, dass die Arbeitnehmer heute pro Jahr durchschnittlich gut 100 Stunden weniger arbeiten als kurz nach der Wiedervereinigung. Zudem seien wesentliche das Nettoeinkommen beeinflussende Faktoren, wie Kindergeldbehandlung, Steuerrückerstattungen und Ähnliches, nicht berücksichtigt worden.

Wie zum Beleg für die zweifelhafte politische Aussagefähigkeit einer jeden Statistik legen auch die Experten des Bundesamtes eine Pro-Kopf-Zusammenstellung vor - und kommen zu einem komplett anderen Ergebnis, als es die gleiche Statistik des Arbeitsministeriums nahelegt. So stagnierten, auf was die letztere Statistik hindeutet, die Pro-Kopf-Nettolöhne der Arbeitnehmer nach den Tabellen des Bundesamtes in den letzten 16 Jahren keineswegs. Ganz im Gegenteil: Die monatlichen Nettolöhne stiegen danach im Durchschnitt von 1991 (1141 Euro) bis 2006 (1458 Euro) um satte 27,8 Prozent.

Wie gravierend die strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt in den letzten 16 Jahren waren, zeigt eine „Verdiensterhebung“, die seit Jahren vom Statistischen Bundesamt für den Bereich des produzierenden Gewerbes, Handel und Kreditwirtschaft durchgeführt wird. Danach konnten ein allein verdienender Angestellter oder spezialisierter Facharbeiter sein reales Nettoeinkommen seit 1995 im Westen um gut zehn und im Osten sogar um rund gut zwanzig Prozent erhöhen. Ein westdeutscher Hilfsarbeiter muss dagegen bei fünf Prozent Netto-Reallohnsteigerung heute mit fast dem gleichen Geld auskommen wie vor zehn Jahren. Auch hier eine gute Botschaft: Die Verdiensterhebung des Bundesamtes bestätigt, dass die realen Nettolohnzuwächse bei Familien mit Kindern in allen Bildungsschichten größer sind als bei Alleinstehenden. Allerdings gilt auch hier: Reallohnprofiteure waren insbesondere Familien von Angestellten und Facharbeitern.

Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung weist für das stete Auseinanderdriften der Löhne von Facharbeitern und schlecht Ausgebildeten den Gewerkschaften eine gewisse Mitverantwortung zu. In ihrer neuesten Publikation weist die Stiftung auf eine Untersuchung des Instituts Zukunft der Arbeit (IZA) hin, die eine Verbindung von Lohnzuwachs und Tarifbindung nachweist. So waren 2004 nur noch 52,1 Prozent aller Beschäftigten von einem Tarifvertrag erfasst. 1951 waren es 66,5 Prozent. Während in den siebziger und achtziger Jahren die Lohnzuwächse in allen Bildungsschichten noch recht ausgewogen waren, driften sie seit den neunziger Jahren massiv auseinander. Während gut verdienenden Facharbeiter durch Tarifanhebungen Nettolohnzuwächse verzeichnen konnten, mussten schlecht ausgebildete Arbeiter bei ihren Nettoeinkommen reale Einbußen hinnehmen.

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