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Steinmeier im Interview: „Es fehlt nicht an Regeln im Umgang zwischen Männern und Frauen“

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier zur Sexismusdebatte, über Angela Merkels Regierung und Bedingungen seiner Partei für EU-Hilfen an Zypern.

Von
  • Antje Sirleschtov
  • Hans Monath

Seit gut einer Woche wird in Deutschland über den richtigen Umgang der Geschlechter gestritten. Lassen Sie uns über Sexismus reden, Herr Steinmeier. Was ist das?

Es geht in der aktuellen Debatte doch nicht um Definitionen, sondern es geht dabei ganz offensichtlich um die Erfahrung vieler, meistens Frauen, die unangemessene Annäherung oder Verletzung zwischenmenschlicher Distanz erlebt haben. Und es geht um jene – und zwar nicht nur in der Politik –, die sich in Abhängigkeitsverhältnissen bei Annäherungsversuchen ohnmächtig gefühlt haben.

Die Diskussion hat im Internet geradezu einen Aufschrei produziert. Überrascht Sie die Emotionalität der Diskussion in der Öffentlichkeit?

Das Ausmaß hat mich nicht überrascht, weil ja nicht neu ist, dass viel zu viele im Arbeitsleben solche Erfahrungen gemacht haben. Überrascht hat mich die Bereitschaft, darüber öffentlich zu diskutieren. Wenn in den sozialen Netzwerken mehr als 60 000 Menschen, überwiegend Frauen, ihre Erfahrungen mit Sexismus zum Thema machen, dann kann und darf Politik das nicht ignorieren.

Wie soll sich Politik darum kümmern, braucht man Gesetze oder Verordnungen?

Die Debatte meiner Fraktion darüber hat gerade erst begonnen und wir werden sie mit großer Ernsthaftigkeit führen. Ich persönlich bin skeptisch, dass wir das Verhältnis der Menschen für jede Lebenssituation reglementieren können. Allerdings kann die aktuelle Diskussion Anlass sein, überkommene Rollenmuster bei der Begegnung von Mann und Frau in der Politik, in der Wirtschaft, wohl auch in Kultur und Medien zu überdenken.

Soll es einen Verhaltenskodex geben?

Fehlt der wirklich? Ist wirklich unbekannt, wie sich Vorgesetzte gegenüber Mitarbeitern, wie sich Männer gegenüber Frauen insbesondere in Abhängigkeitsverhältnissen verhalten sollten? Ich glaube, es fehlt nicht an Regeln, sondern hin und wieder an der Bereitschaft, sich daran zu halten. Und so schwierig sind die Dinge doch auch nicht: Missverständnisse beim Gegenüber vermeidet man am besten dadurch, dass man professionelle Distanz wahrt.

Was bedeutet das für das Verhältnis von Männern und Frauen im Arbeitsalltag?

Die kritische Debatte über Sexismus ist doch kein Plädoyer für Kontaktverbote. Auch nicht für einen völlig verkrampften Umgang miteinander. Es wird doch so bleiben, dass die meisten Beziehungen und Ehen aus Begegnungen im Umfeld des Arbeitsplatzes entstehen. Aber das ist keine Rechtfertigung für unangemessene Näherungen, wo es an beiderseitigem Einvernehmen fehlt.

Sexismus entsteht oft dort, wo Macht im Spiel ist. Verleitet Macht diejenigen, die sie haben, dazu, sie auszunutzen?

Ein Großteil der deutschen Romanliteratur widmet sich dem Einfluss von Status auf die Wahrnehmung von Menschen. Und selbstverständlich kann das Innehaben von Macht Risiken für die Persönlichkeitsentwicklung haben. Wer Macht hat, der ist deshalb besonders gefordert, sein Verhalten zu kontrollieren. Und am besten hat man Freunde außerhalb der Hierarchien, die einem dabei helfen.

Kommen wir zu ganz gegenwärtigen Themen der Politik: Die SPD verfügt nach dem Sieg bei der Landtagswahl von Niedersachsen über eine Mehrheit im Bundesrat. Wie wollen Sie die nutzen?

Wir wollen gestalten und den innenpolitischen Stillstand und die Lethargie in diesem Land beenden. Stephan Weil hat der SPD mit seinem Wahlsieg in Niedersachsen einen großartigen Start in dieses wichtige Jahr beschert, in dem zwei Landtage und der Bundestag gewählt werden. Das hat das Selbstbewusstsein der SPD sehr gestärkt und auch den Blick der Öffentlichkeit verändert.

Man kann nur blockieren, wenn es etwas zu blockieren gibt

Also Blockadepolitik im Bundesrat?

Im Gegenteil: Wir haben schon in der Vergangenheit gezeigt, dass wir mit unseren Möglichkeiten in der Länderkammer verantwortlich umgehen. Zudem kann man nur blockieren, wenn es etwas zu blockieren gibt. Diese Regierung zeichnet sich aber dadurch aus, dass sie nichts vom Kabinettstisch kriegt. Die Mehrzahl ihrer Projekte bleibt doch schon im Streit zwischen CDU, CSU und FDP stecken. Unser Ziel ist nicht Blockade, sondern Auflösung des Stillstandes.

Rechnen Sie nach dem Treffen des Koalitionsausschusses vom Donnerstag damit, dass die schwarz-gelbe Regierung bis zur Wahl noch wichtige Projekte anpackt?

Einen einzigen Lichtblick gab es auf diesem Koalitionsgipfel: die Verständigung auf den Wahltermin. Damit ist endlich klar: Am 22. September gibt’s das Ende dieser schwarz-gelben Hängepartie. Aber bis dahin sollte von dieser Truppe niemand mehr etwas erwarten. Besser als mit diesem Koalitionsgipfel kann man den traurigen Zustand von Schwarz-Gelb doch gar nicht beschreiben. Ergebnisse erneut Fehlanzeige. Da ging von Anfang an nichts zusammen. Gestaltungswillen gab es nie. Diese Regierung ist von Anfang ein einziger unhaltbarer Zustand. In den letzten eineinhalb Jahren hat Angela Merkel die europäische Krise wie einen alten Teppich benutzt, unter den sie alle Probleme der Innenpolitik kehrt. Aber im Wahlkampf wird Bilanz gezogen. Es gibt kaum ein Projekt, in dem die Koalitionspartner sich verständigt haben.

Apropos europäische Krise. Ist die Rettung zypriotischer Banken systemrelevant? Müssen wir nun auch für Zypern zahlen, um den Euro zu stabilisieren?

In den Reihen meiner Fraktion ist die Skepsis groß, und ich teile diese Skepsis. Der Fall Zypern liegt anders als Spanien, Portugal und Griechenland. Das Land war verführt vom kurzfristigen Nutzen des Fremdkapitals, das aus dem Ausland kam. Es hat sich Wettbewerbsvorteile verschafft durch unmoralische Niedrigststeuern und Geldwäsche.

Das heißt für die Haltung der SPD-Fraktion zu einem Hilfspaket, das die Bundesregierung einbringen könnte?

Ich bin dagegen, ein fragwürdiges Geschäftsmodell, das gerade kollabiert ist, einfach wiederherzustellen. Voraussetzung jeder Hilfe ist für uns, dass Zypern erstens sein Dumpingniveau bei der Körperschafsteuer verlässt und sich europäischen Maßstäben anpasst, zweitens glaubwürdig gegen Geldwäsche vorgeht, drittens den Anteil seines Bankensektors an der Gesamtwirtschaft reduziert und sich viertens der europäischen Initiative für eine Finanztransaktionssteuer anschließt. Leider muss ich feststellen: Die jetzige Regierung in Zypern zeigt dazu keine Bereitschaft. Sie lehnt bisher jedes Gespräch darüber ab. Ob sich das nach Wahlen ändert, bleibt abzuwarten.

Weiten wir den Blick noch etwas. Im Mali-Konflikt steht eine Entscheidung über eine militärische Beteiligung Deutschlands an. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hält nun ein Bundestagsmandat für nötig, wenn deutsche Tankflugzeuge die französische Militäraktion zur Befreiung Malis unterstützen sollen. Stimmen Sie ihm da zu?

Frankreich hat richtig gehandelt, als es entschieden hat, den Vormarsch islamistischer Kräfte in Mali zu stoppen. Paris hat das auf eigenes Risiko getan, darf dabei aber nicht alleinegelassen werden. Deshalb bin ich dafür, dass Deutschland logistische Hilfe leistet. Ich habe dafür geworben, dass der Bundestag auch über die Hilfe der Bundeswehr für afrikanische Truppen durch Transall-Transportflugzeuge abstimmt. Das hat die Bundesregierung abgelehnt. Insofern freue ich mich, wenn sie sich nun der Position der SPD annähert und bei weiteren Unterstützungsleistungen in Mali die parlamentarischen Rechte beachtet.

Manche befürchten, Deutschland könnte in einen neuen Krieg hineingezogen werden, Mali könnte zu einem zweiten Afghanistan werden. Besteht die Gefahr?

Diese Befürchtung kann ich nicht nachvollziehen. Mali ist nicht mit Afghanistan vergleichbar. Nach meinem Eindruck ist durch das Eingreifen der Franzosen gerade verhindert worden, dass Mali ein zweites Afghanistan wird, wie wir es zu Zeiten der Talibanherrschaft in Erinnerung haben. Inzwischen sind islamistische Einheiten weit in den Norden Malis zurückgedrängt worden. Afrikanische Truppen aus den Nachbarländern werden jetzt eingeflogen, um demnächst schrittweise französische Truppen zu ersetzen. Frankreich will selbst keine zusätzlichen eigenen Truppen ins Land führen, eher dort vorhandene Kontingente zurückführen, wenn afrikanische Verbände Sicherungsaufgaben zunehmend übernehmen. Ich sehe nicht, dass wir in Mali vor einem erneuten Einsatz von Kampftruppen stehen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass eine deutsche Bundesregierung den Einsatz beschließen würde.

Frontmann der Opposition:

Seit Herbst 2009 ist Frank Walter Steinmeier (57) Chef der Bundestagsfraktion der SPD. Die Zeiten, da man dem besonnenen Diplomaten die notwendigen Attacken eines Oppositionsführers nicht zutraute, sind allerdings schon lange vorbei.

Wahlkämpfer in zweiter Reihe:

Steinmeier gehörte zu der Troika der SPD, aus der ein Spitzenmann für den Bundestagswahlkampf erkoren werden sollte. 2009 hatte er diese Rolle und die SPD verlor die Wahl. Ein zweites Mal wollte er jetzt nicht gegen Angela Merkel (CDU) antreten.

Vorkämpfer in der Euro-Krise:

Steinmeier spürt schon lange den Widerstand in seiner Fraktion, wenn es darum geht, die Krisenhilfen Europas für Nachbarstaaten im Bundestag zu unterstützen. Bis jetzt hat er die Genossen immer überzeugt. In der Zypernfrage könnte sich die SPD nun verweigern.

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