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Steinmeier

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Steinmeier-Interview: "Das ist Wahlbetrug mit Ansage"

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier über die Steuersenkungspläne der Koalition und Korrekturen an Hartz IV.

Herr Steinmeier, was macht einen guten Oppositionsführer aus?



Gute Opposition macht die Schwächen der Regierung sichtbar. Der Oppositionsführer hat die Linie dafür vorzugeben. Er muss dafür sorgen, dass die Hauptangriffspunkte verstanden werden.

Würden Sie sagen, dass Sie dieser Anforderung in den ersten 100 Tagen als Fraktionschef gerecht geworden sind?

Ja. Ich halte mich sicher nicht für unfehlbar, aber stelle fest: Die SPD ist mit ihrer Kritik am schwarz-gelben Chaos durchgedrungen. Im November haben viele meine Erwiderung auf die Regierungserklärung der Kanzlerin noch für eine scharfe Rede gehalten. Inzwischen ist dieses Urteil Mehrheitsmeinung: Einen derart dilettantischen Start hat sich in der Geschichte der Republik noch keine Bundesregierung geleistet.

Liegt der kleine Zuwachs in den Umfragen an der Stärke der SPD oder an der Schwäche der Koalition?


Schwarz-Gelb hat die Wähler getäuscht. Viele fühlen sich zu Recht betrogen. Sie merken, dass Angela Merkel ihr zentrales Wahlversprechen brechen wird. Ich habe nicht den kleinsten Zweifel, dass die Menschen mit dieser Regierung am Ende weniger statt mehr Netto vom Brutto haben. Diese Steuersenkungspolitik ohne Geld und Verstand zwingt die Kommunen, Gebühren zu erhöhen und Leistungen zu streichen. Abfall- und Abwassergebühren werden steigen, Kitas teurer werden, Schwimmbäder und Jugendhäuser schließen. Und zusätzlich plant diese Koalition doch schon längst, die Sozialversicherungsbeiträge zu erhöhen. Wir haben frühzeitig darauf hingewiesen. Das ist unsere Pflicht als Opposition. Und wenn wir darum in den Umfragen steigen – umso besser.

SPD-Chef Sigmar Gabriel spricht von einer „Bürgerbewegung gegen den Staatsbankrott“. Wollen Sie die Straße gegen Schwarz-Gelb mobilisieren?

Der Widerstand gegen die Steuersenkungspolitik wird sich zu allererst bei den Betroffenen formieren. Und das sind die Bürger, die die Finanznot von Städten und Gemeinden auszubaden haben. Die SPD wird diesen Widerstand unterstützen, wo sie kann. Auf die Bundesregierung kommen harte Zeiten zu.

Der Sparzwang des Bundes rührt doch vor allem aus der massiven Verschuldung, welche die große Koalition zur Bekämpfung der Finanzkrise eingehen musste.

Es macht aber keinen Sinn, dass man den Sparzwang noch dadurch erhöht, dass man Steuersenkungen in die Wege leitet, von denen jeder Fachmann weiß, dass sie kaum Wirtschaftswachstum bringen. Was Schwarz-Gelb da macht, hat mit Krisenbekämpfung nichts zu tun. Da werden Steuererleichterungen für Hotelbesitzer und Erben großer Vermögen dauerhaft der Allgemeinheit aufgebürdet. Das macht die Schuldenbekämpfung sehr schwer.

Wo würde eine SPD-geführte Bundesregierung sparen?

Wir werden im Laufe dieses Jahres ein eigenes, solide finanziertes Steuerkonzept vorlegen. Zunächst muss aber die Regierung sagen, wie sie ihr Programm mit der Überschrift „Im Himmel ist Jahrmarkt“ finanzieren will, und wo sie den Bürgern Einschnitte zumutet. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagt zwar, er müsse sparen, aber wie, das will er erst nach der NRW-Wahl am 9. Mai kundtun. Das ist Wahlbetrug mit Ansage.

Die SPD hat die Bundestagswahl auch deshalb verloren, weil die Wähler ihr nicht genug Wirtschaftskompetenz zugemessen haben. Außerdem hingen ihr die Hartz-Reformen nach. Was lernen Sie daraus?


Wir müssen Union und FDP auf diesem Feld offensiv angehen. Schwarz-Gelb beweist seit Oktober jeden Tag, dass sie von Wirtschaft und Finanzen nicht viel verstehen. Die SPD hat Deutschland in der großen Koalition den Weg aus der Krise gewiesen. Ohne uns hätte es den Bankenrettungsschirm, die Kurzarbeit und auch die Abwrackprämie nie gegeben. Wir haben die besseren wirtschaftspolitischen Konzepte. Bei unserer Fraktionsklausur am Donnerstag und Freitag werden wir Vorschläge dazu vorlegen und diskutieren.

NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers verlangt eine Grundrevision von Hartz IV. Überholt er die SPD wieder einmal von links?


Das ist doch Blendwerk. Herr Rüttgers täuscht die Arbeitnehmer. Er verweigert ihnen Mindestlöhne und will stattdessen ein riesiges Programm für staatlich subventionierte Dumpinglöhne zugunsten der Arbeitgeber etablieren. Und noch etwas: Weil diese Regierung die Kraft zum Handeln nicht hat, vollzieht sich der größte Rückfall in der Arbeitsmarktpolitik im Moment von selbst. Allerdings einer in die 90er Jahre! Die Betreuung aus einer Hand in den Jobcentern, die gemeinsame Verantwortung von Arbeitsagenturen und Kommunen, die vielen Menschen neue Jobs gebracht hat, wird fahrlässig aufgegeben. Das geht zulasten der Arbeitsuchenden. Das ist der komplett falsche Weg! So schleicht sich die Regierung nach und nach aus der aktiven Gestaltung der Arbeitsgesellschaft heraus, die zum Ziel hat, dass Menschen Arbeit haben und dass sie von dieser Arbeit ihr Leben bestreiten können, ohne auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein.

Die Hessen-SPD will die Leistungen des Arbeitslosengeldes II an die Dauer der Einzahlung koppeln. Einverstanden?

Natürlich muss die Wirkung politischer Gesetzgebung überprüft werden. Unbeabsichtigte Nebenwirkungen und Missbrauch müssen beseitigt werden. Deshalb haben wir schon längst erste Korrekturen vorgenommen. Deshalb müssen wir bei der Leiharbeit etwas tun und den Missbrauch beenden, deshalb müssen wir Verbesserungen beim Schonvermögen erreichen, wie wir es schon im Wahlprogramm angekündigt haben. Das heißt, wenn das Ersparte für die Altersvorsorge eingesetzt wird, dürfen die Betroffenen es in vollem Umfang behalten. Ich will, dass das alles in ein geschlossenes Konzept für eine Arbeitsmarktpolitik des kommenden Jahrzehnts einfließt. Denn es macht wenig Sinn, jetzt an einzelnen Maßnahmen herumzuschrauben, die allesamt Auswirkungen auf das Gesamtsystem haben.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Hans Monath.

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