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Was macht eine gute Debatte aus? Eine Fragestunde im Bundestag.

© John MACDOUGALL/AFP

Sternstunde im Bundestag erwartet: Was die Debatte über den Trisomie 21-Test über unsere Streitkultur verrät

Diffamierungen dürften ausbleiben bei der offenen Diskussion über den Bluttest auf Trisomie 21. Die Debatte wird sich selbst regulieren. Ein Gastbeitrag.

Andrea Römmele ist Professorin für politische Kommunikation an der Hertie School of Governance. Im Februar ist ihr Buch "Zur Sache. Für eine neue Streitkultur in Politik und Gesellschaft" erschienen (Aufbau-Verlag).

Am heutigen Donnerstag führt der Bundestag eine sogenannte Orientierungsdebatte. Dabei geht es um die Übernahme der Kosten für einen Bluttest, der bei Schwangeren die Wahrscheinlichkeit bestimmen sollen, mit der ihr Kind mit Down Syndrom zur Welt kommt. Dass über eine mögliche zusätzliche Kassenleistung im Bundestag debattiert wird, ist alles andere als selbstverständlich.

Die Entscheidung über die Kostenübernahme durch die Krankenkassen trifft der Gemeinsame Bundesausschuss, der von Ärzten, Krankenkassen und anderen Vertretern aus dem Gesundheitswesen besetzt wird. Am Ende der Sitzung wird deshalb auch kein Beschluss der Abgeordneten dazu vorliegen.

Dennoch ist die Debatte im Bundestag absolut notwendig und sinnvoll. Es geht um eine grundlegende Entscheidung, die nicht von kleinen Gremien, sondern auf gesellschaftlicher Ebene diskutiert werden sollte.

Die Frage, ob ein solcher Test vom Solidarsystem finanziert werden sollte, ist eine die sich weder bürokratisch, finanziell, theologisch oder philosophisch abschließend beantworten lässt. Sie kann nur politisch entschieden werden.

Politik ist das einzige System, das kollektiv bindende Entscheidungen treffen kann, auch wenn sie nicht von allen Betroffenen geteilt werden.

Warum ethisch-moralische Debatten wie die über den Trisomie-Test anders und besser sind

Ohne den Verlauf der Debatte zu diesem Zeitpunkt bewerten zu können, kann davon ausgegangen werden, dass sie sich deutlich von anderen politischen Diskussionen unterscheiden wird. Wir kennen das von anderen ethisch-moralischen Debatten.

Beispielsweise um die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder die Sterbehilfe. Dabei laufen die Konfliktlinien nicht entlang der Fraktionsgrenzen, sondern häufig quer durch die Parteien.

Überspitzte Formulierungen, Profilierungsversuche und Diffamierungen bergen in diesem Fall die Gefahr, sich dem Vorwurf des Zynismus ausgesetzt zu sehen, oder eigenes Klientel zu vergraulen. Dadurch reguliert sich die Debatte quasi selbst.

Häufig gelten solche Debatten als „Sternstunden“, da inhaltlich, in der Sache und respektvoll miteinander gerungen wird. Es gibt dabei keine Annäherung hin zu einem Endzustand, sondern es ist ein stetes Vor und Zurück. Je nach gesellschaftlicher Stimmung und sich wandelnden Machtverhältnissen kann die Diskussion immer wieder neu aufflammen.

Die pluralistische Gesellschaft braucht den Streit - er ist ein Innovationstreiber

Eine pluralistische Gesellschaft braucht solchen Streit. Streit ist der lebendige Kern jeder Demokratie. Entscheidungen, die getroffen werden, gelten genau deshalb als legitimiert, weil sie öffentlich diskutiert und von der Öffentlichkeit gegen andere Möglichkeiten abgewogen wurden. Dabei kommt es immer zu Konflikten, die sich nicht im Konsens auflösen lassen.

Im Idealfall gibt es einen Wettstreit von Argumenten, aus dem sich die Mehrheitsposition herausbildet. Streit ist in der Demokratie kein Selbstzweck, sondern funktionaler Bestandteil. Er muss öffentlich ausgetragen werden. Nicht zuletzt um dem politischen Publikum die Möglichkeit zu geben, alle Positionen gegeneinander abzuwägen.

Durch den öffentlich ausgetragenen Streit entsteht die Möglichkeit, sich zwischen den konkurrierenden Standpunkten für jenen zu entscheiden, der den eigenen politischen Vorstellungen am nächsten kommt oder der einen am meisten überzeugt hat. Ohne den öffentlichen Streit kann sich so etwas wie eine öffentliche Meinung überhaupt nicht herausbilden.

Die Streitenden nehmen eine Komplexitätsreduktion vor, die es einer breiten Öffentlichkeit erst ermöglicht, eine eigene Haltung zu einem Thema zu entwickeln. Der Streit bietet eine Orientierungshilfe, indem er die Sprecher zwingt, zu erklären, warum welche Veränderungen notwendig sind. Unterschiedliche Standpunkte prallen aufeinander und ringen um die Deutungshoheit.

Streit ist ein Innovationstreiber

Letztendlich werden Kompromisse gefunden. So gut wie nie passiert es, dass die Streitenden mit exakt der gleichen Position aus einem Streit herauskommen, mit der sie ihn begonnen haben. Streit ist ein Innovationstreiber und bringt neue Ideen hervor. Diese produktive Seite des Streits anzuerkennen, ist eine große Herausforderung.

Für den Einzelnen erscheint ein Streit meist negativ. Er impliziert immer die Möglichkeit des Verlierens, und er fokussiert das Trennende. Dabei können wir schon beim Soziologen Georg Simmel lernen, dass der Streit „eigentlich die Abhilfsbewegung gegen den auseinanderführenden Dualismus und ein Weg, um zu irgendeiner Art von Einheit […] zu gelangen“ ist.

Wir müssen uns am Ende des Tages nicht einig sein, müssen nicht die gleichen Lösungen wollen, ja nicht einmal dieselben Probleme identifizieren. Aber wir müssen gegenseitig versuchen zu verstehen, was das politische Gegenüber möchte und warum es das möchte. Wer keine Möglichkeit sieht, im gesellschaftlichen Diskurs wahrgenommen und gehört zu werden, wird sich auch nie als Teil dieser Gesellschaft begreifen.

Erst durch eine Reaktion auf die Vorhaben, Ideen und Ansprüche unserer Gegner stellen wir trotz der politischen Differenzen die Basis für gesellschaftlichen Zusammenhalt her: indem wir zeigen, dass wir bereit sind, uns miteinander auseinanderzusetzen. Wir können akzeptieren, dass wir uns nicht einigen können. Den Gegner zum Schweigen bringen dürfen wir nicht.

Es ist anstrengend, aber notwendig, immer wieder zu erklären, was wir uns bei etwas gedacht haben. Noch anstrengender ist es, wenn wir versuchen, die Gründe nachzuvollziehen, die unser Gegner für seine Pläne hat. Dennoch ist der Streit alles andere als die Beseitigung einer (empirisch ohnehin nicht vorhandenen) Harmonie in der Gesellschaft, sondern das Hinzufügen neuer Elemente: Er ist ein Garant für den Fortschritt, er erzeugt politische Öffentlichkeit und er bildet den Kitt, der uns als Gesellschaft zusammenhält.

In den meisten politischen Debatten gehen die positiven Elemente des Streits unter

All das blitzt in solchen ethisch-moralischen Debatten wie der um die Kostenübernahme in der Pränataldiagnostik immer wieder auf und geht gleichzeitig in den meisten politischen Debatten völlig unter. Statt einer Auseinandersetzung, im wahrsten Sinne des Wortes, mit dem Gegenüber, konzentriert man sich meist auf die eigenen Anhänger, die man fester hinter sich versammeln möchte. Das politische Gegenüber ist dann kein Diskussionspartner, sondern eine Projektionsfläche. Es geht ausschließlich darum, eine Botschaft zu senden. Neue Impulse sind sowohl unwillkommen als auch hoffnungslos.

Der Umgang mit den jüngsten Protestbewegungen rund um Klimawandel oder die Reform des europäischen Urheberrechts haben uns gezeigt: Es steht nicht gut um unsere Streitkultur. Viel zu wenig werden der Austausch, der Diskurs und der Streit gesucht. Man spricht nicht miteinander, sondern übereinander, zieht sich zurück in eigene Echokammern und ist an der Sicht des politischen Gegners nicht interessiert.

Verkommt der Streit aber zum öffentlichkeitswirksamen Selbstzweck, verlieren wir die Basis unseres politischen Miteinanders. Wir müssen uns seiner Bedeutung bewusstwerden und ihn aktiv suchen. So schwer es manchmal auch sein mag: Wenn wir den politischen Streit nicht ernst nehmen, gerät unsere Demokratie in Gefahr.

Andrea Römmele

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