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Politik: Stille Helfer

„Offen zu sprechen hilft Opfern nicht“: Das Rote Kreuz verteidigt sein Schweigen im Folterskandal

Der Folterskandal wird für die USA immer brenzliger: Das Rote Kreuz bestätigte am Freitag, dass die Amerikaner ein „weitreichendes und breites System“ von Misshandlungen in irakischen Gefängnissen aufgezogen haben. Bei den Misshandlungen habe es sich nicht um „isolierte Ereignisse“ gehandelt, sagte Pierre Krähenbühl, der Operationsdirektor des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Genf.

Krähenbühl reagierte mit seinen Äußerungen auf eine Veröffentlichung des „Wall Street Journal“. Die US-Zeitung hatte einen vertraulichen IKRK-Bericht über irakische Gefangene veröffentlicht. In dem Dokument, das an die US-Regierung gegangen war, beschreibt das IKRK teilweise detailliert die Missstände in den Camps.

Das IKRK selbst hält seine Berichte unter Verschluss. Mit einem Publikmachen schade man den Gefangenen, verteidigte Krähenbühl die Politik des Roten Kreuzes. Nach öffentlichen Appellen bestünde die Gefahr, dass Kriegsparteien die IKRK-Inspekteure nicht mehr in die Lager hineinließen. Und: Andere Regierungen, die auch Lager für Kriegsgefangene unterhielten, könnten das Vertrauen in das Rote Kreuz verlieren. Immerhin besuchten Delegierte des IKRK im Jahr 2003 in 80 Ländern rund 470 000 Gefangene.

Hinter den Kulissen aber drängte das Rote Kreuz die US-Regierung seit mehr als einem halben Jahr, die Misshandlungen in den irakischen Gefängnissen zu stoppen. Ob die IKRK-Inspekteure bei ihren Gefangenen-Visiten in dem besetzten Land das ganze Ausmaß der US-Folter erfuhren, bleibt offen. Washington habe auf die Genfer Appelle „sehr ernst“ reagiert, versicherte Krähenbühl. Doch seien nicht alle Missstände beseitigt worden – das habe sich bei Wiederholungsvisiten gezeigt.

Verschwiegenheit ist für die rot-weißen Helfer generell ein Gebot. Berichte über Gräuel auf Schlachtfeldern oder in Gefängnissen dringen so gut wie nie über das Rote Kreuz nach außen. Der Präsident des IKRK, Jakob Kellenberger, sagt: „So erreichen wir mehr, als wenn wir die Konfliktparteien öffentlich an den Pranger stellen.“ Nur durch Kooperation könne das IKRK Verletzte, Verwundete und Gefangene schützen und ihnen helfen – so wie es die Genfer Abkommen von 1949 vorsehen. „Offen zu sprechen ist kein Selbstzweck – den Opfern ist damit nicht geholfen“, betont Kellenberger daher. Doch das Rote Kreuz kann auch anders. Kellenberger forderte die Bush-Regierung öffentlich auf, die mehr als 600 Gefangenen auf Guantanamo als Kriegsgefangene anzuerkennen. Bisher waren alle Appelle vergeblich.

Erst wenn sie als Kriegsgefangene eingestuft werden, gelten für die mutmaßlichen Taliban- und Al Qaida-Kämpfer die Schutzbestimmungen der Genfer Abkommen. Zumindest der Fall Guantanamo gibt den Rot-Kreuz-Helfern recht: Öffentliche Appelle verbessern nicht unbedingt die Lage von Gefangenen.

Jan Dirk Herbermann[Genf]

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