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Politik: Streit der Strategen

Der CSU-Experte Seehofer präsentiert sich als Wahrer sozialer Balance – auf Kosten von CDU-Chefin Merkel

Von Robert Birnbaum

Der Streit über die Gesundheitspolitik der Union wächst sich zusehends zum Machtkampf zwischen CDU-Chefin Angela Merkel und der CSU aus. Der CSU-Vize und Gesundheitspolitiker Horst Seehofer sagte am Wochenende in einer Reihe von Interviews, das Problem könne nicht mehr von den Fachleuten gelöst werden, sondern nur noch auf Chefebene. Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber wollten nun versuchen, bis zur Sitzung des CDU/CSU-Fraktionsvorstands am Montagabend eine Lösung zu finden. Die Zeit drängt, weil der Reformentwurf von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) am Mittwoch im Bundestag in erster Lesung beraten werden soll und die Union einen Alternativentwurf angekündigt hatte.

In der Sache liegt die Differenz darin, dass Merkel sich für die komplette Privatisierung der Zahnbehandlung stark gemacht hat. Nach den von ihr unterstützten Vorstellungen von CDU-Experten müssten die Bürger künftig die komplette Zahnbehandlung aus eigener Tasche oder mithilfe einer privaten Zusatzversicherung zahlen. Seehofer lehnt das als „Privatisierungsorgie“ ab und besteht darauf, stattdessen eine deutlich höhere Selbstbeteiligung bei allen Gesundheitsleistungen vorzusehen. Eine Einigungslinie könnte darin bestehen, dass die Zahnbehandlung wie bisher von der Kasse bezahlt wird, dafür aber für die Finanzierung des Zahnersatzes künftig komplett die Patienten selbst sorgen müssen.

Einem solchen Kompromiss steht allerdings entgegen, dass die Sachfrage Gesundheit für alle Beteiligten inzwischen offen zur Strategie- und Machtfrage geworden ist. Seehofer hatte diese Situation am Wochenende durch die Drohung verschärft, er werde die nächste Sitzung der Herzog-Kommission zur langfristigen Reform der sozialen Sicherungssysteme am Dienstag boykottieren. Überdies sympathisierte er plötzlich einen Systemwechsel hin zu einer „Bürgerversicherung“, in die alle Bürger einzahlen – eine Idee, die sofort Widerspruch bei der CDU auslöste: „Das löst keine Probleme, sondern schafft neue“, sagte Sozialexpertin Anette Widmann-Mauz dem Tagesspiegel. Denn es werde dann nicht nur neue Beitragszahler geben, sondern in ungleich höherem Maße auch neue Ansprüche an die Krankenkasse.

In der CDU wird das Verhalten des CSU-Stellvertreters – der von seiner Parteiführung Rückendeckung bekommt – als taktische Position vor der bayerischen Landtagswahl im Herbst gewertet. Die CSU wolle die Bürger nicht durch allzu weit gehende Reformen verschrecken und führe sich jetzt als Wahrer der sozialen Balance auf. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer machte am Sonntag aber deutlich, dass die CDU sich dem Widerstand der CSU nicht ohne weiteres fügen will. „Wir können uns um eine offene und ehrliche Diskussion mit allen Beteiligten nicht herumdrücken“, sagte er. Meyer, Co-Vorsitzender der Herzog-Kommission, will am Montag zusammen mit Merkel das Problem auch mit dem Altbundespräsidenten Roman Herzog erörtern.

Gesundheitsministerin Schmidt kommentierte den Streit der Opposition als „Aufsehen erregend“. Es sei bemerkenswert, wenn jemand wie Seehofer der eigenen Seite einen sozial schädlichen Kurs vorwerfe. Schmidt appellierte zugleich an die Union, den Weg zu einem Konsens in der Gesundheitspolitik nicht zu verbauen.

Seehofer unternahm am Sonntag über ein Interview mit dem „Handelsblatt“ einen weiteren mit der CDU nicht abgestimmten Vorstoß. Darin setzte er sich für eine Zweiteilung der Rente in eine „Sockelrente“ etwas über Sozialhilfe-Niveau plus eine deutlich verminderte gesetzliche Rente ein. Die Mindestrente würde laut Seehofer nach heutigem Stand bei etwa 410 Euro liegen und solle von allen Bürgern, also auch Beamten und Selbständigen durch einen Beitrag von vier, fünf Prozent des steuerpflichtigen Einkommens mitgetragen werden. Der Rentenbeitrag könne auf 11 bis 12 Prozent sinken.

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