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Bei rot stehen, bei grün gehen: Berliner Ampelfiguren.

© DPA

Streit im linken Lager: Wie SPD und Grüne um die Führungsrolle links der Mitte kämpfen

Früher waren sie Wunschpartner. Heute liefern sich SPD und Grüne einen erbitterten Konkurrenzkampf um die Frage, wer das linke Lager anführen soll.

Mitten im Sommerloch liefern sie sich Scharmützel. Sozialdemokraten und Grüne, lange Zeit Wunschpartner, haben die Lust am Streit entdeckt. Die SPD wolle sich „in einer babylonischen Gefangenschaft mit CDU und CSU einrichten“, ätzte vor kurzem Grünen-Urgestein Jürgen Trittin. Er reagierte damit auf die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles. Die hatte der eigenen Partei eine Abgrenzung von der grünen Konkurrenz empfohlen: „Die Imitation der Grünen hilft uns nicht weiter“, sagte sie. Es war eine Botschaft an den linken SPD-Flügel, dessen Positionen in Sachen Asyl- und Flüchtlingspolitik den liberalen Vorstellungen der Grünen stark ähneln. „Unser Kurs ist differenzierter, aber dafür realistisch“, stellte Nahles klar – und warf den Grünen damit indirekt vor, eine weltfremde Politik zu vertreten.

Handfester Konkurrenzkampf im linken Lager

Bei den gegenseitigen Attacken geht es nicht nur um die üblichen Berliner Profilierungsspiele. Zwischen SPD und Grünen ist ein handfester Konkurrenzkampf um die Führungsrolle in der linken Mitte entbrannt. Längst haben sich die Grünen aufgemacht, die Sozialdemokraten als linke Volkspartei abzulösen. Das ist ihr Ziel, und es erscheint noch nicht einmal utopisch.

Die SPD jedenfalls wankt in ihrer Rolle als führende linke Kraft. Drei Bundestagswahlen in Folge haben die Sozialdemokraten verloren, zuletzt mit dem historisch schlechten Ergebnis von 20,5 Prozent. Bei der anstehenden Landtagswahl in Bayern drohen sie unter die Zehn-Prozent-Hürde abzurutschen. Dass die Umfragen auch für die CSU herbe Einbußen voraussagen, dürfte aus SPD-Sicht ein schwacher Trost sein. Besonders bitter: Für die Grünen geht der Trend in den Umfragen steil nach oben – in Bayern um mehr als fünf Prozentpunkte.

Manfred Güllner, Chef des Forschungsinstituts Forsa, hält es durchaus für möglich, dass die Grünen die SPD im Bund überholen. Die Größenverhältnisse der beiden Parteien könnten sich bald umdrehen: „Die Grünen haben die Chance, Koch zu sein, während sich die Sozialdemokraten mit der Rolle des Kellners anfreunden sollten“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Dann wären vielleicht die Grünen die erste Wahl, wenn die Union das nächste Mal einen Koalitionspartner sucht.

SPD-Programm: "weder Fisch noch Fleisch"

Warum die Sozialdemokraten nicht aus dem Tief herauskommen, dafür gibt es viele Gründe. Das „fehlende Profil“ der SPD sei einer, sagt der Parteienforscher Gero Neugebauer. „Das Problem der SPD ist ihr Angebot“, findet er. „Es ist weder Fisch noch Fleisch.“

Besonders schwer mit einer klaren Linie tut sich die SPD in der Asyl- und Flüchtlingspolitik. In einer der entscheidenden gesellschaftspolitischen Fragen, präsentieren sich die Sozialdemokraten als gespaltene Partei. Auf der einen Seite stehen konservative Kommunalpolitiker wie Duisburgs SPD-Oberbürgermeister Sören Link, der vor einer Überforderung durch Zuwanderung warnt. Auf der anderen Seite stehen Parteilinke wie die Jusos, die sich gegen jede Einschränkung im Asylrecht wehren. Als Nahles im Juni versuchte, den Kurs der Partei festzulegen („Wir können nicht alle aufnehmen“), wurde ihr vom linken Flügel umgehend rechte Rhetorik vorgeworfen. „Eine einheitliche SPD-Position in der Flüchtlingspolitik gibt es nicht“, sagt Parteienforscher Neugebauer.

Traditionell gewinnen die Sozialdemokraten nur dann Wahlen, wenn sie Stimmen aus zwei Lagern auf sich vereinen – der Arbeiterschaft und dem links-liberalen Bürgertum. Doch diese Brücke zu schlagen, ist zunehmend schwierig und beim Reizthema Migration vielleicht sogar unmöglich. Denn ein Teil der klassischen SPD-Klientel, wie Arbeiter und Angestellte, sieht Zuwanderung eher skeptisch. Diese Wähler spricht die AfD an und setzt die SPD damit von rechts unter Druck. Auf der linken Seite lauern die Grünen. Sie versuchen, den Sozialdemokraten die weltoffenen Wähler aus den Großstädten mit ihrer eindeutig liberalen Flüchtlings- und Integrationspolitik streitig zu machen.

Die Grünen wollen wachsen

Dass die Grünen neue Wählerschichten erschließen wollen, ist offensichtlich. „Es reicht nicht mehr aus, im eigenen Milieu mehrheitsfähig zu sein“, sagte Grünen-Chef Robert Habeck unlängst. Auf dem Weg zu einem neuen Grundsatzprogramm versucht seine Partei, sich vom reinen Öko-Image zu befreien. Sogar der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft, lange ein Tabuthema, steht zur Diskussion. Dass Habeck vor kurzem Hausbesetzungen als „Rechtsbruch“ bezeichnete, dürfte pragmatische SPD-Wähler ebenso ansprechen wie die Reden seiner Parteikollegen.

Deren Sprache erinnert bisweilen an die Rhetorik, wie sie früher von der SPD gepflegt wurde. Etwa wenn Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter eine neue „Kapitalismuskritik“ fordert oder Parteichefin Annalena Baerbock vor den „Wölfen des Nationalismus“ warnt.

Ob die Grünen so die Lücke schließen können, die die schwache Sozialdemokratie hinterlässt, wird sich zeigen. Dass sie es wollen, steht jedenfalls fest. Oder wie Baerbock es ausdrückt: „Wir wollen wachsen.“

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