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Streit ums Arbeitslosengeld: Was Arbeit macht

Der Streit um das Arbeitslosengeld I wird heftig geführt - bei der SPD, aber auch bei der CDU. Gibt es eine Gerechtigkeitslücke für Ältere? Oder sorgt das kurze ALG I dafür, dass Ältere schneller wieder einen Job finden? Wir haben Betroffene gefragt, Arbeitslose und Arbeitsvermittler.

SPD-Chef Beck sieht ein „Gerechtigkeitsproblem“. In seinen Augen kann ein Erwerbsloser, der 30 Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, nicht schon nach 15 Monaten gezwungen werden, von 345 Euro zu leben. Schon gar nicht, wenn ein 25-Jähriger, der erst wenig eingezahlt hat, den gleichen Betrag über den gleichen Zeitraum bezieht. Sein Gegner Franz Müntefering dagegen argumentiert, die kurze Zahldauer habe bewirkt, dass die Arbeitslosigkeit vor allem bei Älteren über 50 Jahren sinkt. Das Prinzip des „Förderns und Forderns“ wirke: Ältere Arbeitslose müssten sich wegen der kurzen Bezugsdauer bemühen, rasch wieder in Arbeit zu kommen, sonst drohe Hartz IV. Ob das stimmt? Wir haben Betroffene gefragt, Arbeitslose und Arbeitsvermittler.

DER ARBEITSLOSE

Im Oktober 2005 endete das alte Leben von Manfred Prügel schlagartig. Eine fristlose Kündigung machte den damals 55-jährigen zu einem Teil der Arbeitslosenstatistik. Zuvor hatte der promovierte Biologe als Lobbyist für die Umweltschutzorganisation Nabu gearbeitet. Gekündigt wurde ihm aus heiterem Himmel, ohne Abmahnung. „Es waren persönliche Gründe im Spiel“, sagt Manfred Prügel. Er ging vor das Arbeitsgericht, es kam zum Vergleich. Seine Arbeit hatte Prügel trotzdem verloren.

Diese Diskussion um Arbeitslosengeld I berühre ihn „direkt und unangenehm“, sagt Prügel. Er wisse einfach, mit welchen Schwierigkeiten ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen haben: „Ich kenne Kollegen, die Mitte 40 sind und schon erhebliche Probleme haben, wieder einen Job zu finden.“ Vom wirtschaftlichen Aufschwung bekomme seine Branche nichts mit. Wirtschaftsunternehmen benötigten eher andere Berufsgruppen. Im Bereich der privaten Naturschutzorganisationen oder der entsprechenden Behörden würde seit Jahren gekürzt. Und wenn eingestellt werde, dann seien die jüngeren Arbeitslosen am Zug. „Plausibel finde ich das nicht“, sagt Prügel – immerhin habe er Kontakte und Erfahrungen.

Der ehemals leitende Angestellte bewarb sich inzwischen selbst auf Assistentenstellen, bei denen das Kaffeekochen wieder dazugehört hätte. „Ich gucke nicht, ob das finanziell ein Aufstieg oder Abstieg ist“, sagt Prügel. Er wolle erst mal wieder den Einstieg finden. Nur auf einen berufsfremden Job habe er sich bislang nicht beworben. „Ich bin persönlich noch nicht so weit, als Würstchenverkäufer zu arbeiten.“ Würde er umziehen für einen Job? Prügel zögert: „Wer am Ende seines beruflichen Lebens ist, der lebt in einer sozialen Struktur, hat Freunde, Familie, Bekannte, die man nicht mehr so schnell ersetzen kann wie mit 20, 30 Jahren.“ Auch das eigene Haus halte ihn in Hamburg.

Ende November läuft Manfred Prügels Bezugszeit für Arbeitslosengeld I aus. Ob er dann sein Haus verkaufen muss oder in den Hartz-IV-Regelsatz fällt, weiß er nicht genau. „Für mich ist Hartz IV eine Drohung“, sagt Prügel. „Ich sehe dem Datum ohne Panik entgegen, aber mit Besorgnis.“ Vor den finanziellen Einschränkungen hat er weniger Angst als vor den psychologischen Folgen: „Vom Ersparten zu leben ist der totale soziale Abstieg“, sagt er. ALG I verbinde die Arbeitslosen noch mehr mit dem Arbeitsmarkt als Hartz IV. „Wenn ältere Arbeitslose erst Hartz IV bekommen, schmeißen sie schneller das Handtuch.“Lu Yen Roloff

DER VERMITTLER

„Wenn die Leute zu mir kommen“, sagt Sebastian Finsterbusch, „dann ist das Kind zumeist schon in den Brunnen gefallen.“ Finsterbusch ist Arbeitsvermittler in Berlin. Seine Kunden sind Hartz-IV-Empfänger. In seinem Büro landeten Anfang 2005 zu Beginn der Hartz-Reformen die ehemaligen Sozialhilfeempfänger. Bei ihm landen mittlerweile auch Studienabgänger, die bislang nicht in die Sozialkassen eingezahlt haben – und Arbeitslose, die die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I überschritten haben. Aus seiner eigenen Erfahrung beurteilt Finsterbusch die derzeitige Lösung als produktiv. „Natürlich ist die Situation, auf Hartz IV zuzurutschen, unschön, aber der Druck scheint etwas zu bewirken.“ Mehrere Fälle seien ihm dieses Jahr schon untergekommen, in denen Arbeitslose nach ihrem Fall in Hartz IV plötzlich wieder einen Job gefunden haben – nach bis zu zehn Jahren Arbeitslosigkeit.

Das Gerechtigkeitsproblem ist seiner Ansicht nach nicht zu lösen. „Die Arbeitslosenversicherung ist eine Risikoversicherung gegen die wirtschaftlichen Risiken der Arbeitslosigkeit.“ Eine exakte Gerechtigkeit nach den eingezahlten Beiträgen könne nicht abgebildet werden. „Wie soll man es beispielsweise auffangen, wenn ein 60-Jähriger rund 40 Jahre einbezahlt hat, ein 25-Jähriger aber nur zwei? Dem 60-Jährigen können Sie ja nicht vier Jahre Arbeitslosengeld zubilligen.“ Eher sollten nach langer Einzahldauer die Beiträge für die Betroffenen gesenkt werden. „Dies würde allen mehr helfen – und vielleicht sogar Arbeitslosigkeit vermeiden.“

Dass der große Unmut in den Gesprächen mit seinen Kunden ausbleibt, verwundert Sebastian Finsterbusch nicht. Den großen Knall habe es bereits 2005 beim Inkrafttreten des Hartz-IV-Gesetzes gegeben, „mittlerweile haben sich die Leute damit abgefunden“. Doch manchmal rege sich auch in den Resignierten die Wut, erzählt der Vermittler. Die wüssten zwar selbst, dass sie noch nicht in Rente gehen könnten, trotzdem würden ihm manche einen Rat geben: „Jagen Sie doch erst mal die Jüngeren.“ Tim Klimeš

DIE BETREUERIN

Das Schweigen am anderen Ende der Leitung kontert Bettina Behle mit einem Witz. Eben noch hatte sie dem Geschäftsführer, der neue Arbeiter suchte, die Vorzüge ihres Schützlings aufgezählt. Und dann sein Alter genannt – 53 Jahre. Stille am anderen Ende der Leitung.

Bettina Behle ist Geschäftsführerin einer „New Placement“-Agentur. Was sich so angelsächsisch-undurchschaubar anhört, ist im Deutschen schnell erklärt: Bettina Behle vermittelt Arbeitslose. Wenn Unternehmen absehen können, dass sie Angestellte entlassen müssen, rufen sie Behles Agentur. Zumindest manche. Ein halbes Jahr vor den Entlassungen kümmert die Agentur sich dann um die bedrohten Angestellten. Zumeist sind das ältere Arbeitnehmer.

„Wir führen so eine Art Rasterfahndung für die Arbeitslosen durch“, sagt Behle. Viele „insbesondere auf dem Land, wo ganze Produktionen runtergefahren werden, sind 30 Jahre lang Tag für Tag in ihre Firma gegangen und stehen plötzlich vor der Arbeitslosigkeit“. Bei der Diskussion um die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I sieht Behle nicht den finanziellen Aspekt im Vordergrund. „Es geht nicht nur um das Geld an sich, sondern um den Umgang mit ihm.“ Für den Gerechtigkeitssinn der Menschen wäre ihrer Ansicht nach eine gestaffelte Auszahlung der Beiträge die optimale Lösung. Andererseits hat die Geschäftsführerin die Erfahrung gemacht, „je länger die Arbeitslosen Zeit haben, sich nicht zu bewegen, desto länger bewegen sie sich auch nicht“. Die Menschen seien so gestrickt, dass sie eher verdrängen, statt zu realisieren. Wer zu lange verdrängt, landet bei Hartz IV.

Neben Telefonaten mit Unternehmen, gehört es zu Behles Aufgaben, mit den Arbeitslosen Bewerbungen zu schreiben und ihnen die aktuellsten Verhaltensregeln auf dem Jobmarkt anzutrainieren. Manchmal müsse sie den Arbeitslosen auch ein Stück Würde wiedergeben. Viele fühlen sich „wie von der eigenen Familie verstoßen und denken, sie sind nichts mehr wert“. Den 53-Jährigen konnte Bettina Behle dann doch vermitteln. Das Schweigen am anderen Ende der Leitung brach Bettina Behle durch eine kleine Frage an den Chef: „Wie alt sind Sie eigentlich?“ Lachen. „Natürlich war er über 50“, sagt Behle. Tim Klimeš

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