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Streumunition: Tödlicher Hagel in Misrata

In der libyschen Stadt Misrata sind Teile von Streumunition gefunden worden. Setzt Diktator Gaddafi die völkerrechtlich geächtete Waffe gegen die Zivilbevölkerung ein?

Von Matthias Schlegel

Sie zählen zu den bestialischsten Waffen, die sich Menschen ausgedacht haben, um einander zu bekriegen und zu töten: Streubomben. Bei der Explosion eines solchen Geschosses werden hunderte kleinerer Bomben freigesetzt, die verheerende Wirkung vervielfacht sich. Die umherfliegenden Schrapnelle können Menschen noch in einer Entfernung von 100 Metern töten. Vor allem Zivilisten werden Opfer dieser heimtückischen Waffe, zumal häufig zahlreiche Blindgänger zurückbleiben, die erst später ihre Sprengkraft entfalten. Obwohl im August 2010 eine internationale Konvention zum Verbot der Erzeugung, des Exports und der Anwendung von Streumunition in Kraft trat, ist die weithin zivilisierte Welt offenbar nicht in der Lage, ihren Einsatz komplett zu verhindern. 56 Staaten haben die Konvention bisher ratifiziert, die wichtigsten Herstellerländer – USA, Russland und China – bislang nicht. Und in 74 Staaten – auch in Deutschland – lagern noch immer Waffenbestände, die nach dem Buchstaben der Konvention bis 2015 vernichtet sein sollen.

Nun ist Streumunition offensichtlich auch im Krieg in Libyen eingesetzt worden. Auf ihrer Homepage zeigt die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Fotos von Rückständen solcher Geschosse, die nach Angriffen der Truppen des libyschen Machthabers Muammar al Gaddafi auf die Stadt Misrata dort aufgefunden worden seien. Auch wenn bislang nicht festgestellt wurde, ob mit dieser Streumunition in Misrata Menschen getötet wurden – für die Organisation, aber auch für die Aufständischen wie für westliche Geheimdienste sind die Funde ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Diktator diese völkerrechtlich geächtete Waffe bewusst gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt hat.

Auch der Berliner Rüstungsexperte Otfried Nassauer zweifelt nicht daran, dass diese Waffen im Libyenkrieg zur Anwendung kommen. Er warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen über die Herkunft. Zwar traut auch er Gaddafi diese Perfidie in dessen immer aussichtsloser werdendem Kampf um die Erhaltung der Macht zu. Zumal Libyen die internationale Konvention zum Verbot der Streubomben nicht unterzeichnet habe. Dennoch seien bislang mehrere Fragen nicht eindeutig beantwortet, etwa: Waren es tatsächlich libysche Streitkräfte unter Gaddafi, die die Geschosse abfeuerten? Hatten sie den ausdrücklichen Befehl zum Einsatz dieser Waffen? Kann man ausschließen, dass irgendwelche anderen Kräfte diese Waffen eingesetzt haben? Schließlich seien in dem Konflikt zahlreiche Söldner im Einsatz, die sich um keinerlei moralische oder völkerrechtliche Maßstäbe scherten. Verwunderlich sei auch, dass bislang nur drei bis sechs solcher Geschosse gefunden worden seien, was nicht auf eine strategische Anwendung hindeute und nicht vergleichbar sei etwa mit dem massenhaften Einsatz von Streumunition durch Israel im Südlibanon im Jahr 2006.

Nicht gänzlich auszuschließen sei auch, dass die in Misrata aufgefundenen Streubomben aus Munitionsdepots der staatlichen Streitkräfte entwendet worden sein könnten oder dass es sich angesichts der sich ständig verschiebenden Frontlinien um erbeutete Waffen handeln könne, sagt Nassauer, der das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) leitet.

Nach Angaben von Human Rights Watch weisen die Bezeichnungen auf der aufgefundenen Munition vom Typ MAT 120 auf das Herkunftsland Spanien hin. Und tatsächlich finden sich im spanischen Rüstungsexportbericht für die Jahre 2007 und 2008 nach Auskunft Nassauers drei Lizenzen für die Ausfuhr von Waren der Kategorie 4 auf der Militärgüterliste – das sind Bomben, Sprengkörper, Artilleriegeschosse und Ähnliches. Insgesamt umfasste der Export an die libyschen Streitkräfte Waffen im Wert von rund 7,7 Millionen Euro. Allerdings sind Streubomben in der Liste nicht konkret ausgewiesen. Auch Spanien ist 2010 der internationalen Streubombenkonvention beigetreten.

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