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Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes demonstrieren in Johannesburg für Lohnerhöhungen.

© Reuters

Südafrika: Eigentor am Kap

Politischer Belastungstest nach der WM: Südafrika wird von Streiks im öffentlichen Dienst erschüttert.

Streikende Lehrer, wütende Proteste von Krankenschwestern und nun auch noch ein drohender Solidaritätsstreik von Polizisten und Gefängniswärtern – nur sechs Wochen nach dem Abpfiff der Fußball-WM wird Südafrika von einer beispiellosen Streikwelle im öffentlichen Dienst erschüttert. Inzwischen verrichten Soldaten in Dutzenden von Staatshospitälern Notdienste; Freiwillige waschen und füttern Patienten. Zum Entsetzen des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) will sich nun auch noch die Polizeigewerkschaft Popcru am Wochenende an dem Streik beteiligen. Dadurch wird deutlich, wie verhärtet die Fronten am Kap inzwischen sind. Kurz zuvor hatte ANC-Generalsekretär Gwede Mantashe die Polizei ausdrücklich vor Sympathiestreiks gewarnt, weil sie das Land in die Anarchie stürzen würden.

Für den erfolgreichen Ausrichter der Fußball-WM sind die Streiks ein weiterer herber Rückschlag: So haben die oft gewalttätigen Proteste nicht nur Südafrika als Investitionsstandort in Misskredit gebracht, sondern auch den vom Fußballturnier geschaffenen Optimismus weitgehend zerstört. „Das Timing ist ausgesprochen problematisch, zumal die WM im Ausland einen solch guten Eindruck hinterlassen hatte“, klagt etwa Kevin Lings, Ökonom bei Südafrikas größtem Vermögensverwalter Stanlib. Für ihn ist klar: „Die Hoffnung auf zusätzliche Investitionen hat sich nun mit Sicherheit erst einmal zerschlagen.“ Dabei könne sich die Kaprepublik schon deshalb keine Streiks solchen Ausmaßes leisten, weil die Erholung des Landes nach der globalen Rezession auf tönernen Füßen stehe. Anders als seine direkten Konkurrenten hat sich Südafrika weit weniger schnell erholt, auch wenn sein Sozialprodukt im zweiten Quartal um immerhin drei Prozent wuchs. Auf der anderen Seite hat das Land trotz der WM-Ausrichtung in den letzten 15 Monaten rund 1,2 Millionen Arbeitsplätze verloren.

Umso bedenklicher stimmen die ungezügelten Lohnforderungen und die Vehemenz, mit der sie nun durchgesetzt werden: Während die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst 8,6 Prozent mehr Gehalt fordern, hat die Regierung sieben Prozent zur absoluten Schmerzgrenze erklärt, zumal bereits diese Offerte um fast das Doppelte über der aktuellen Inflationsrate vom Juli liegt, die 3,7 Prozent betrug. Ernüchternd ist vor allem, dass die bereits sehr hohe Arbeitslosigkeit infolge der Streiks weiter steigen dürfte. Offiziell liegt sie bereits jetzt bei über 25 Prozent, doch in Wirklichkeit ist die Lage viel ernster: Von den Südafrikanern über 15 Jahren werden inzwischen 44 Prozent als „Menschen ohne Erwerb“ beschrieben. Die Schweizer Großbank UBS verweist in einer gerade veröffentlichten Studie darauf, dass dieser Anteil für ein Schwellenland weltweit einzigartig hoch ist – und am Kap letztlich nur eine sehr kleine Gruppe von rund fünf Millionen (ganz überwiegend weißen) Steuerzahlern den Wohlstand für 49 Millionen Menschen und den immer teureren Sozialstaat erwirtschaftet. Fast 15 Millionen Menschen erhalten in Südafrika mittlerweile Sozialhilfe vom Staat, ohne dafür einzuzahlen. Gleichzeitig haben jedoch nur knapp 13 Millionen Südafrikaner einen Job.

Für die meisten privaten wie staatlichen Unternehmen sind die vor der WM gewährten Lohnerhöhungen von elf Prozent in der gegenwärtigen Wirtschaftslage schon jetzt nicht mehr zu schultern. Die UBS weist in der Südafrika-Studie zudem darauf hin, dass die Durchschnittslöhne am Kap inzwischen mehr als doppelt so hoch sind wie in Brasilien und der Türkei – und selbst Polen noch schlagen. Das vergleichsweise hohe Lohnniveau spiegele dabei jedoch in keiner Weise den schwachen Bildungs-, Produktivitäts- und Qualifikationsstand in Südafrika wider und untergrabe somit die Wettbewerbsfähigkeit des Landes in der globalen Wirtschaft.

Nach Ansicht der bekannten Wirtschaftsexpertin Nazmeera Moola von der Investmentbank „Macquarie First South“ haben die hohen Löhne bereits verhindert, dass Unternehmen und Staat auf absehbare Zeit neu einstellen. Bereits im letzten Jahr hätten die enormen Lohnersteigerungen nach ihrer Berechnung mehr als 30 000 Jobs im Staatssektor zerstört – und damit die Arbeitslosigkeit weiter verschärft. Für 2010 erwartet Moola ein ähnliches Szenario. Vor allem die Arbeiter in Branchen wie der Autoindustrie, die ihre Jobs im Bedarfsfall schnell auslagern kann, dürften in den nächsten Jahren einen hohen Preis zahlen.

Für Entsetzen hat landesweit jedoch vor allem die Absicht des ANC gesorgt, der bislang freien Presse durch harte neue Mediengesetze enge Fesseln anzulegen. So soll die Veröffentlichung als vertraulich eingestufter Informationen mit Gefängnisstrafen von bis zu 25 Jahren belegt werden. Daneben will der ANC ein von ihm selbst dominiertes Medientribunal einführen, das vermeintliche Verstöße gegen eine „faire Berichterstattung“ mit drastischen Strafen ahnden soll. Journalisten sehen darin einen kaum getarnten Versuch, jegliche Kritik an dem immer selbstherrlicheren Regierungsstil des ANC zu ersticken.

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