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Politik: Tage des Jammers

Von Axel Vornbäumen

Mit dem heutigen Tag sind es noch 61, dann hätte auch diese große Koalition ihr erstes Amtsjahr überstanden. Das wird sie schaffen, gerade so. Darf man, aus gegebenem Anlass und im Wissen darum, dass der ausgeprägte Hang zur Selbstblockade der politischen Klasse in den kommenden Wochen nicht gerade dramatisch nachlassen wird, mal Horst Köhler zitieren? „Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder stehen auf dem Spiel … In dieser ernsten Stunde braucht unser Land eine Regierung, die ihre Ziele mit Stetigkeit und mit Nachdruck verfolgen kann. Dabei ist die Bundesregierung auf die Unterstützung durch eine verlässliche, handlungsfähige Mehrheit im Bundestag angewiesen.“

Das war am 21. Juli 2005. Der Bundespräsident hat mit diesen Worten den Weg zu Neuwahlen freigemacht. Was die seinerzeit erhoffte Mehrheit angeht – nun, verlässlicher könnte sie kaum sein. Nur mit Handlungsfähigkeit hat das offenkundig nicht immer etwas zu tun.

Es gab eine Zeit, da hieß es, man brauche diese große Koalition, weil nur sie allein auch große Projekte stemmen könne, allen voran die Gesundheitsreform. Dann wurde umgekehrt argumentiert: Da brauchte es plötzlich die Gesundheitsreform, um die Koalition im Amt zu halten. Mittlerweile dürfen Zweifel angemeldet werden, ob das ehrliche Interesse am Fortbestand dieses sich lähmenden Zweckbündnisses tatsächlich wechselseitig noch besteht. Sind aus den Koalitionären nicht längst Kombattanten geworden, die in Lauerstellung gegangen sind, bereit, im entscheidenden Moment den taktischen Vorteil für einen Machtwechsel auszuspielen? Ein Machtwechsel aber bedeutete mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ende der Ära Merkel. Nun stellt sich die Frage: Wäre das so schlimm?

Die Zahl derer, die dies bedauerten, nimmt gerade rapide ab. Und Angela Merkel ist selbst nicht schuldlos daran. Die Kanzlerin bietet in diesen Tagen ein Bild des Jammers. Ihr gemeinsamer gestriger Auftritt mit SPD-Chef Kurt Beck geriet zum Fiasko, rhetorisch wie körpersprachlich. Mit Floskeln will sie die Krise durchstehen und mit einer Arbeitsgruppe. Ist das schon Kanzler(in)dämmerung? Verkrampft da eine, die sich bereits umzingelt wähnt? Oder kann sie Krisenmanagement nicht, jedenfalls dann nicht, wenn sie es mit inhaltlichen Fragen verbinden muss?

Schon gehen in den eigenen Reihen die ersten Büchsenspanner in Position. Die SPD, namentlich Kurt Beck, erinnert sich erfreulicher sozial-liberaler Vergangenheit im Bund, demonstrativ. Die FDP ruft das Ende des Lagerdenkens aus, demonstrativ. Und die Grünen, in Machtfragen auch nicht mehr so pingelig wie früher und als Dritter für eine „Ampel“ nötig, werden sich im Zweifel an Breitensteins Kartoffeltheorem orientieren: „Jetzt sind die Kartoffeln da. Jetzt müssen sie auch gegessen werden.“

Deutschland im Herbst 2006. Da hat sich etwas verändert in diesem Land, das von einem zu forsch auftretenden schwarz-gelben Bündnis nicht regiert werden wollte und dafür eine Koalition bekommen hat, die mit ihren Manövern nun wiederum für Wählerwanderungen sorgt, die demnächst alles ermöglichen – bloß nicht das Bilden von Regierungen, die im Köhler’schen Sinn ihre Ziele mit Stetigkeit verfolgen. Sollte eine „Ampel“ im Bund nicht nur sinnlos vor sich hinleuchten, müsste auch in den Ländern einiges umgepolt werden.

Nun zum Streit. Es geht um eine Überforderungsklausel. Nomen est omen.

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