zum Hauptinhalt

Politik: Terror unter Ausschluß der Öffentlichkeit

BELGRAD .Im Kosovo gibt es kaum mehr unabhängige Augenzeugen.

BELGRAD .Im Kosovo gibt es kaum mehr unabhängige Augenzeugen.Die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sind schon vor einer Woche abgereist.Den Journalisten aus dem Ausland wurde Schritt für Schritt die Arbeit verunmöglicht und die letzten wurden am Mittwoch unter massiven Drohungen aus Pristina verjagt.Auch fast alle internationalen Hilfswerke haben aus Furcht vor Repressalien, und weil sie in ihrer Tätigkeit auf unüberwindbare Hindernisse stießen, das Feld geräumt.Nur etwas mehr als ein Dutzend Delegierte des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) sind noch vor Ort.Auch ihre Bewegungsfreiheit ist massiv eingeschränkt.

Was jetzt passiert, geschieht unter Ausschluß der Öffentlichkeit.Während die NATO Ziele in ganz Jugoslawien bombardiert, ist für die albanische Bevölkerung im Kosovo das Leben zur Hölle geworden.Diesen Schluß legen die spärlichen Informationen, meist aus albanischen Quellen, nahe.

Serbische Paramilitärs, Polizei und Jugoslawische Bundesarmee nehmen jetzt noch weniger Rücksicht auf die öffentliche Meinung im westlichen Ausland.Selbst in der Provinzhauptstadt Pristina traut sich tagsüber kaum jemand mehr auf die Straße.Strom und Wasserversorgung sind abgeschaltet.Nur noch einzelne Bäckereien haben geöffnet, meist nur für wenige Stunden.Die Nacht gehört ganz den bewaffneten serbischen Zivilisten.Sie terrorisieren die albanische Bevölkerung, in dem sie in die Luft schießen und Bomben werfen.Einzelne Stadtteile werden zeitweise abgeriegelt und von der Polizei auf der Suche nach jungen Männern, potentiellen Mitglieder der "Kosovo-Befreiungsarmee" (UCK), durchkämmt.Schlafen kann nur, wer noch über eine Reserve an Beruhigungsmitteln verfügt.In den vergangenen Tagen wurden zwei Privatkliniken zerstört und Granaten in drei Cafes geworfen, berichten albanische Quellen.

Besonders gefährdet sind albanische Intellektuelle und Vertreter des politischen Lebens.Der prominente Rechtsanwalt Bajram Kelmendi wurde in der Nacht auf Donnerstag zusammen mit seinen beiden Söhnen von bewaffneten Männern entführt."Fragen Sie die NATO", sei Freunden beschieden worden, als sie sich nach dem Schicksal der Entführten bei der Polizei erkundigten.

Veton Surroi, prominenter Publizist und Mitglied der albanischen Verhandlungsdelegation in Frankreich, hält sich angeblich aus Furcht vor einer Entführung versteckt.Auch in das Haus von Albanerführer Ibrahim Rugova hätten Unbekannte versucht, einzudringen.Bewaffnete töteten einen Wächter von "Koha Ditore" und zerstörten die Einrichtung in den Redaktionsräumen der Zeitung.Andere zündeten die Fahrzeuge der Zeitung "Kosova Sot" an.Die Büros des albanischen "Kosovo Informationszentrums" (KIC) seien verwüstet worden, heißt es in Pristina.Das einzige, was noch funktioniert, sind die Telefone.Und die laufen hier heiß.Wer Verwandte oder Bekannte irgendwo außerhalb der Stadt hat, hängt den ganzen Tag am Apparat.Die Nachrichten aus der Provinz ergeben bei aller Vorsicht ein düsteres Bild.

In Has, einem Ort im Distrikt von Prizren im Süden des Kosovo, seien 22 Lehrer und Professoren hingerichtet worden, berichteten das albanische Innenministerium und das Flüchtlingswerk UNHCR übereinstimmend.Die Männer seien von den Familien getrennt, in ein Schulhaus gebracht und getötet worden.Die Leichen seien anschließend verbrannt worden.Auch aus Orahovac wird die Hinrichtung von 20 Albanern gemeldet.In der Bergarbeiterstadt sei in der Nacht auf Donnerstag Agim Hajrizi, ein Gewerkschaftsführer, zusammen mit seinem zwölfjährigen Sohn hingerichtet worden.Das gleiche Schicksal soll Latif Berisha, Lehrer und Mitglied des Präsidiums der "Demokratischen Liga des Kosovo" (LDK) erlitten haben.Eine ähnliche Terrorstrategie gegen die lokale Elite praktizierten serbische Einheiten auch während des Bosnienkonflikts.Ziel ist es, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu zerstören.

Der Terror trifft jedoch die gesamte Bevölkerung, glaubt man den albanischen Quellen.Der alte Stadtteil von Djakovica, einem Ort mit 100 000 Einwohnern nahe der Grenze zu Albanien, werde von serbischen Einheiten Stück für Stück niedergebrannt.Zu systematischen Zerstörungen soll es auch in der nördlichen Stadt Podujevo gekommen sein.Im Drenica-Gebiet im Herzen des Kosovo geht die massive serbische Offensive weiter.Mehrere tausend Albaner, Quellen berichten von bis zu 15 000 "Geiseln", sollen von Panzern und serbischen Polizisten umzingelt, in die Distrikthauptstadt Srbica getrieben worden sein.Die Stadt grenzt an eine große Munitionsfabrik, potentielles Ziel von NATO-Luftangriffen.Etwa 80 000 Menschen sollen nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks seit dem Scheitern der Friedensgespräche zu Flüchtlingen geworden sein.Jedoch nur wenige schaffen noch den Weg über die Grenze nach Mazedonien.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false