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Tibetkrise: Gestern versprochen, heute gebrochen

In der Tibetkrise fällt China in alte Muster zurück und fühlt sich an Zusagen nicht mehr gebunden – doch die Mönche geben nicht auf.

Mit einem gewagten Protest haben Mönche bei einem streng reglementierten Besuch einer Gruppe ausländischer Journalisten in Lhasa gegen Chinas Herrschaft in Tibet demonstriert. Rund 30 buddhistische Mönche nutzten die Visite der Reporter am Donnerstag im Jokhang-Tempel für ihre Aktion: „Tibet ist nicht frei, Tibet ist nicht frei“, rief ein junger Mönch und brach in Tränen aus. Die von chinesischen Funktionären begleiteten Ausländer wurden aufgefordert: „Glaubt denen nichts. Sie lügen“, sagte Calum MacLeod von „USA Today“ telefonisch der Deutschen Presse-Agentur in Peking. Andere Mönche hätten gerufen, der Dalai Lama habe nichts mit den Protesten zu tun. Aufgeregt hätten die amtlichen Begleiter die Journalisten weggezogen. US-Präsident George W. Bush rief Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao in einem Telefonat zum „substantiven Dialog“ mit dem Dalai Lama, dem religiösen Oberhaupt der Tibeter, auf. Aus Protest gegen Chinas Vorgehen in Tibet kündigte Polens Ministerpräsident Donald Tusk als erster europäischer Regierungschef an, der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking fernzubleiben.

Ginge es nach Pekings Führern, dann haben die seit zwei Wochen anhaltenden blutigen Unruhen in Tibet nichts mit den Olympischen Spielen zu tun. Die Aufstände seien eine „interne Angelegenheit der Volksrepublik China“, betont der Sprecher des Außenministeriums. Boykottaufrufe lehnt Peking als „unzulässige Politisierung“ der Spiele ab. Wenn Tibeter protestieren, wie etwa bei der Fackelzeremonie in Griechenland, sei das „schändliche Sabotage“ hinter der die „Clique des Dalai Lama“ stecke.

Dabei erhoben Chinas Führer selbst die Spiele zum politischen Ereignis. Bis vor kurzem erklärten sie diese zum Symbol der Völkerverständigung und des Weltfriedens, offizielles Motto „One World, One Dream“. Noch klarer macht Pekings politische Ambitionen der Fackellauf. Die 137 000 Kilometer lange Reise des olympischen Feuers, an der 20 000 Läufer teilnehmen, wird nicht nur die längste in der Geschichte – ein Superlativ, der Chinas Position als Weltmacht hervorheben soll. Die Planer legten den Lauf eigenmächtig durch Taiwan und Tibet und unterstrichen damit Chinas Territorialansprüche. Die Taiwanesen, die an der Strecke alle nationalen Symbole hätten abmontieren sollen, lehnten die Teilnahme ab. Die Tibeter wurden von China nicht gefragt.

Solange sich die Olympischen Spiele als positives Ereignis verkaufen ließ, ging Peking auf politische Wünsche des Auslands ein. Vor der Vergabe 2001 versprach der Vizepräsident des Pekinger Organisationskomitees, Wang Wei: „Die Olympischen Spiele werden helfen, soziale, ökonomische und Menschenrechtsbedingungen weiter zu verbessern“. Pekings Vizebürgermeister Liu Jingming kündigte „völlige Freiheit“ für Journalisten an. Spätestens seit den tödlichen Unruhen in Tibet sind diese Versprechen vergessen.

Chinas Staatsmedien fallen in eine Propagandasprache zurück, wie sie die Chinesen seit der Niederschlagung der Studentenproteste von 1989 nicht mehr kennen. Der Dalai Lama wird als „Wolf in Mönchskutte“ und als „Lügner“ beschimpft. Wer öffentlich Regierung oder Olympische Spiele kritisiert, den besucht die Staatssicherheit. Yang Chunlin, ein arbeitsloser Fabrikarbeiter, verurteilten die Behörden diese Woche wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“ zu fünf Jahren Gefängnis. Er hatte eine Unterschriftenaktion gestartet mit dem Titel „Wir wollen kein Olympia, wir wollen Menschenrechte“.

Auch beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) will man nichts mehr von Politik wissen – ein Boykott sei unfair gegenüber den Sportlern. Dabei hatte IOC-Vizepräsident Thomas Bach noch kürzlich die Spiele als positive politische Kraft gelobt. Er sei überzeugt, dass sie China verändern würden und einen Reformprozess wie 1988 in Südkorea in Gang setzten könnten, sagte Bach in einem Interview. „Auch in Seoul wurde in einem totalitären System jeder Student, der auf die Straße ging, niedergeprügelt.“ Jedoch: In Südkorea, das sich später zur Demokratie entwickelte, gab es damals eine breite Bürgerrechtsbewegung. In China sitzen diese Leute im Gefängnis.

Harald Maass[Peking]

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