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Politik: Todesschwadronen russischer Geheimdienste?

„Nowaja Gaseta“ erhebt schwere Vorwürfe: Dienste unter Umgehung der Verfassung „mit besonderen Vollmachten“ ausgestattet

Sie sind mit modernster Abhörtechnik ausgestattet und gut bewaffnet. Sie nutzen konspirative Wohnungen, das offizielle Lehrbuch für die Ausbildung von Kundschaftern und ein weit verzweigtes Netz von Agenten, die Informationen zu Unbequemen sammelt: Unternehmern, Regimekritikern, Oppositionspolitikern. Sie töten und nennen sich „System“. Auf der Gehaltsliste stehen neben gewöhnlichen Kriminellen und ehemaligen Spionen auch zwei aktive Geheimdienstoffiziere. Einer davon, ein Oberst, leitet das Abwehrzentrum der russischen Pazifikflotte. Die Rede ist von Todesschwadronen russischer Geheimdienste.

„System“ fliegt durch interne Rivalitäten auf. Die Ermittlungen werden jedoch durch „geheimnisvolle Mächte“ im Hintergrund gestoppt. Als der Boss „singen“ will, wird er umgebracht. Kurz darauf stirbt auch sein Anwalt, der den bereits fertigen Text mit den Enthüllungen an die Medien weitergeben soll. Auch der Chef der Sonderkommission in Wladiwostok, die in dem Fall ermittelt und die heiße Spur trotz Morddrohungen weiterverfolgen will, wird erschossen.

So jedenfalls schildert ein Mitarbeiter der regimekritischen „Nowaja Gaseta“ Aufstieg und Fall der Larionow-Bande. Er schreibt unter dem Pseudonym „Igor“. Aus gutem Grund: Bis zu ihrer Ermordung im Oktober arbeitete auch Anna Politkowskaja für die „Nowaja“. Und die Larionow-Gang ist nicht der einzige Fall, den „Igor“ sich vornimmt. Doch erst jetzt fügt sich das Puzzle zu einem sinnvollen Ganzen zusammen. Der Zeitung wurde eine Geheiminstruktion der Abteilung zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens zugespielt. Sie untersteht dem Inlandgeheimdienst FSB. Die „Nowaja“ zitiert die brisantesten Passagen. Fazit: Die dem Blatt zugänglich gemachten Fakten ließen den Schluss zu, „dass Russlands Geheimdienste oder deren halblegale Ableger unter Umgehung der Verfassung mit besonderen Vollmachten ausgestattet sind“. Da sie inzwischen an den eigentlichen Schalthebeln der Macht sitzen, seien sie „eine Gefahr für die Gesellschaft als Ganzes und für jeden Einzelnen. Auch für den Präsidenten“, heißt es.

In der Tat. Eigentlich, so zitiert die „Nowaja“, sollen diese halblegalen Ableger der Geheimdienste vor allem das organisierte Verbrechen unschädlich machen . „Im Falle einer äußersten Notwendigkeit“ könnten sie aber auch „zur Neutralisierung und Liquidierung von Gruppen oder Einzelpersonen“ eingesetzt werden, die sich „im Kriegszustand mit der Staatsmacht befinden“.

Dazu müssten Geheimdienstler – am besten ehemalige – nicht nur in die Gangs, sondern auch in den staatlichen Verwaltungsapparat eingeschleust werden. Um deren Aktivitäten zu decken, sei es zweckmäßig, eine nichtstaatliche Organisation zu gründen. Etwa eine „Assoziation von Veteranen aus Sondereinheiten“, also der Geheimdienste. Eben diese sorgte in der Mordsache Litwinenko für Wirbel. Dessen Freunde machten sie in britischen Medien direkt für den Mord an dem Ex-Spion verantwortlich.

Auch das brisante, insgesamt 70 Seiten starke Papier wurde der „Nowaja“ von einem Ex-Spion überbracht. Der könnte das nächste Opfer sein.

„Igor“ fordert vom Parlament und von Putin persönlich eine Untersuchung der in dem Artikel dargelegten Fakten. Dass es dazu kommt, glaubten bei einer Blitzumfrage von Radio „Echo Moskwy“ ganze sechs Prozent der Befragten.

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