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Tony Blair: Vom Superman zur Last für Labour

Nach zehn Jahren an der Macht wünschen sich viele Briten einen schnellen Abgang von Tony Blair, der am Mittag seinen Rücktritt bekannt geben will. Seine Bilanz als Premierminister trübt vor allem der Krieg im Irak.

London - Sedgefield hat eine Kirche aus dem 17. Jahrhundert, und jedes Jahr gibt es ein Mittelalterfest. Aber ein Touristenmagnet ist der Ort damit nicht. Das mag sich ändern, denn irgendwie bekommt das englische Dorf neuerdings den Hauch der Geschichte zu spüren. 2003 tauchte George W. Bush in einem Pub auf, während am Ortsrand Irak-Kriegsgegner protestierten. Und wenn alles so kommt, wie Londoner Zeitungen es vorhersagen, wird Tony Blair als erstes den Menschen in Sedgefield seinen Abschied von der Politik erklären.

Dafür wäre die 5000-Seelen-Gemeinde gut gewählt. Genau dort hatte Anthony Charles Lynton "Tony" Blair seine Laufbahn als Profipolitiker begonnen. 1984 machten ihn die Wähler des Kreises Sedgefield erstmals zum Abgeordneten des Unterhauses in London. Bei ihnen will sich Blair (54) für den Anschub zu einer großen Politiker-Karriere bedanken. Erwartet wird, dass er zudem Spekulationen ein Ende setzt und das konkrete Datum seines Rücktritts im kommenden Sommer nennt.

Schon viel zu lange Premierminister

Was über die Ära Blair einmal in den Geschichtsbüchern stehen sollte, hat der Premierminister schon mal vorformuliert: "Unser Einfluss ist rings um den Globus gewachsen; Großbritannien bestimmt die Agenda mit, statt ihr bloß zu folgen." Nachlesbar in Blairs 22-seitigem Vermächtnis, das er zu seinem zehnjährigen Amtsjubiläum am 1. Mai allen Labour-Abgeordneten zuschickte.

Vielleicht hat er das Loblied zu stark aus der Perspektive einer Labour-Hochburg wie Sedgefield geschrieben. Wenn alles so pikobello wäre, dürften nicht derart viele Bürger des Königreichs der Meinung sein, dass es höchste Zeit ist für den Abgang ihres Premierministers. 57 Prozent der Briten finden laut Umfragen, dass Blair schon viel zu lange Hausherr in Number 10 Downing Street ist.

"Tony könnte trockenen Fußes über die Themse schreiten"

Ganz anders war die Stimmung zehn Jahre zuvor. 1997 führte "Superman" Blair die zu "New Labour" runderneuerten Sozialdemokraten nach 18 Jahren Opposition zu einem triumphalen Wahlsieg über die Konservativen. "Tony könnte trockenen Fußes über die Themse schreiten", sagten Bewunderer. Blair war mit 43 Jahren der jüngste Regierungschef des Inselkönigreichs seit 1812. Und er ging daran, sein Land umzukrempeln.

Er führte den gesetzlichen Mindestlohn ein. Die Bank of England wurde unabhängig. Schottland und Wales bekamen eigene Parlamente. Die "Homo-Ehe" wurde legal. Viel Geld floss für das Gesundheitswesen und die Schulen. Und die Wirtschaft trug Früchte, für die zuvor Margaret Thatcher durch Reformen den Boden bereitet hatte.

Bushs Schoßhund

Doch woran sich künftige Generation im Rückblick auf Blair erinnern werden, ist wohl vor allem das blutige Chaos im Irak. Nie wurde er den Ruf los, ein "Schoßhund von Bush" zu sein. Dass er Tausende von Soldaten in den Irak schickte, von denen bislang 148 in Särgen nach Hause kamen, sei "ein schrecklicher Fehler" gewesen, betonte die Londoner "Denkfabrik" Chatham House.

Weit mehr als ein Denkzettel waren die schweren Niederlagen, die Labour gerade bei Regionalwahlen hinnehmen musste. Blair hielt das zum Erstaunen seiner Genossen nicht davon ab, Labour eine "glänzende Ausgangsposition" für die nächsten allgemeinen Wahlen in zwei Jahren bis drei Jahren zu bescheinigen.

Die würde dem derzeitigen Umfragestand zufolge keineswegs Blairs wahrscheinlicher Nachfolger, der Schatzkanzler Gordon Brown (56), gewinnen. Sieger wäre vielmehr der neue Strahlemann der britischen Politik: David Cameron, der dynamische 40-jährige Vorsitzende der Konservativen Partei. Er liegt so weit vorn, dass er für Blair vor allem Spott übrig hat. Der Premier im Abgang, so höhnte Cameron, sei nur noch der Chef "einer Regierung von lebenden Toten". (tso/dpa)

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