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Politik: Traurige Bilanz im Kampf gegen Aids

25 Jahre nach dem ersten Fall hat sich die HIV-Ausbreitung verlangsamt – doch die Seuche wütet weiter

Derzeit wird in Genf ein imposantes neues Hauptquartier für UNAIDS gebaut – dem Aidsbekämpfungsprogramm der Vereinten Nationen. Seit 1995 koordiniert UNAIDS die Arbeit internationaler Organisationen sowie die Anti-Aids-Programme der UN-Mitgliedstaaten. Doch auch ein Vierteljahrhundert nach Bekanntwerden des ersten Aidsfalls im Jahr 1981 kann im globalen Kampf gegen die Seuche von Erfolg keine Rede sein.

Zwar hat sich die Ausbreitung von Aids erstmals seit seiner Entdeckung verlangsamt, wie UNAIDS in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht mitteilte. Hatten sich im Jahr 2003 noch 4,8 Millionen Menschen neu infiziert, waren es im vergangenen Jahr weltweit 4,1 Millionen. Doch dieser Rückgang ist ein Tropfen auf den heißen Stein: Ende 2005 lebten geschätzte 38,6 Millionen HIV-Infizierte auf der Erde. „Die große Mehrheit der Betroffenen weiß von ihrem Schicksal nichts“, schreiben die UNAIDS-Experten.

Trotz Milliardeninvestitionen in die Bekämpfung befiel der HI-Virus seit Ausbruch der Seuche 65 Millionen Menschen. Rund 25 Millionen starben an Aids. In den USA erreichte die Zahl der Infizierten im vergangenen Jahr mit 1,2 Millionen einen historischen Höchststand. Besonders rasch breitet sich HIV in Osteuropa und Zentralasien aus. Brennpunkt aber bleibt das Afrika südlich der Sahara. Dort schwächt HIV rund 25 Millionen Menschen – und mehrere Millionen Fälle kommen jährlich hinzu. In Swasiland ist laut UNAIDS ein Drittel der Bevölkerung mit HIV infiziert – unter den Schwangeren sind es sogar 43 Prozent. Namibia und Simbabwe weisen „Aids-Durchdringungsraten“ von etwa 20 Prozent auf. Und in Südafrika leben fast 19 Prozent der Erwachsenen mit Aids.

Die ökonomischen und sozialen Folgen sind katastrophal. Außerdem wird „Armen nicht geholfen, weil sie arm sind“, erklärte die amerikanische Wissenschaftlerin Helen Lee, die eine HIV-Diagnostikeinrichtung mitgegründet hat. „Die Industrie kann dort kein Geld erwarten.“ Die Folgen: Weltweit kann sich nur jeder achte Mensch auf HIV testen lassen, der das möchte. Die meisten der Getesteten leben in wohlhabenden Staaten. Nur sie können sich auch lebensverlängernde Therapien leisten.

Als eines der erfolgreichsten Konzepte gilt die Behandlung mit antiretroviraler Medizin (ARV). Die meisten Menschen in Entwicklungsländern bleiben von der ARV-Therapie ausgeschlossen. Deshalb starteten UNAIDS und die WHO Ende 2003 das Projekt „3 bis 5“ – bis Ende 2005 sollten demnach drei Millionen HIV-Patienten in einkommensschwachen Staaten eine ARV-Behandlung erhalten. Im März 2006 musste der damalige WHO-Chef Lee Jong-wook jedoch eingestehen: „Das Ziel von ,3 bis 5‘ ist nicht erreicht worden.“ Nur 1,3 Millionen der geplanten drei Millionen Personen konnten mit der lebensverlängernden Medizin versorgt werden. „Die finanzielle Hilfe internationaler und nationaler Geber war nicht ausreichend“, klagte UNAIDS-Chef Peter Piot.

Auch auf anderen Feldern der Vorbeugung, Diagnostik und Behandlung fehlt es an Geld. Nach Berechnungen von UNAIDS muss die internationale Gemeinschaft in den Jahren 2006 und 2007 40 Milliarden US-Dollar zur Aidsbekämpfung aufbringen – die Geber stellen aber angeblich nur weniger als die Hälfte bereit. Die drohenden Konsequenzen der Unterfinanzierung lassen sich laut UNAIDS schon jetzt ausmalen. Ohne bessere Vorbeugung – etwa die Verteilung von Kondomen – werden sich 28 Millionen Menschen im kommenden Jahrzehnt neu mit HIV infizieren.

„Aids gehört heute zu den größten Entwicklungs- und Sicherheitsgefahren der Welt“, sagte Peter Piot. Ab Mittwoch sollen beim Anti-Aids-Gipfel der UN in New York neue Strategien im Kampf gegen Aids beraten werden.

Jan Dirk Herbermann[Genf]

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