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Politik: Typisch deutsch

Von Stefan Hermanns Der Fußball, so behaupten Nostalgiker gelegentlich, schreibt seine eigenen Geschichten. Das ist Unsinn.

Von Stefan Hermanns

Der Fußball, so behaupten Nostalgiker gelegentlich, schreibt seine eigenen Geschichten. Das ist Unsinn. Wäre es so, dann hätte der Fußball am Sonntag die Deutschen zum Weltmeister gemacht, den Außenseiter mit den dicken Rumpelfüßen. Der Fußball aber hat sich für die Tänzer aus Brasilien entschieden. Deutschland wäre auch ein würdiger Weltmeister gewesen. Nun gut, die Holländer, Franzosen und Spanier werden das vermutlich anders sehen. Für sie bedeutet der Sieg der Brasilianer auch, dass der größte anzunehmende Unfall gerade noch einmal abgewendet wurde.

Deutschland Weltmeister? Für die Kulturpessimisten auf der ganzen Welt war das eine grausige Vorstellung. Die internationale Presse hat in den vergangenen Wochen mit ihren bösen Kommentaren ja noch einmal ausgiebig die alten Reflexe bedient. Da sind die Deutschen immer noch die unbesiegbaren Monster, die ihre Gegner einfach überrollen wie – ja, es muss mal wieder sein – wie die Panzer. Aber man fragt sich schon, was die Kommentatoren aus Spanien, England oder Frankreich eigentlich in den vergangenen acht Jahren gemacht haben, als die unbesiegbaren Deutschen bei der WM 1994 gegen Bulgarien ausgeschieden sind und 1998 gegen Kroatien und vor zwei Jahren bei der Europameisterschaft gegen Portugals Reservemannschaft.

Wenn man die alten Ressentiments einmal beiseite lassen könnte, würde man bei dieser Weltmeisterschaft eine wundervolle Geschichte entdecken: die Geschichte eines chancenlosen Außenseiters, der sich mit limitierten Fähigkeiten von Runde zu Runde gekämpft hat und plötzlich im Finale steht. Un in diesem Finale schwingt er sich zu einer starken Leistung auf, spielt endlich so, wie es alle Kritiker von ihm schon seit langem verlangen und doch nie erwartet hätten – und verliert. Der Volksmund hat für solche Fälle das Bild vom Schuster parat, der doch bitte bei seinen Leisten bleiben möge. Die daraus folgende These lautet: Deutsche Fußballer können nur Erfolg haben, wenn sie kämpfen, rennen, grätschen.

Diese These ist falsch.

Nein, die Deutschen haben das Finale nicht verloren, weil sie so gut waren, sondern obwohl sie so gut gespielt haben. Verantwortlich für diese Niederlage waren die Faktoren Mensch und Zufall, dieKritiker den Deutschen so gerne absprechen. Es waren eben keine Maschinen, die da in Yokohama die Brasilianer nach zuvor exakt festgelegter Marschroute niederwalzen wollten. Es waren Menschen mit menschlichen Fehlern, die in Schlüsselsituationen auch noch Pech hatten: ein Torwart, der im Spiel einen Bänderriss im Finger erlitt und vielleicht auch deshalb in der entscheidenden Szene daneben griff; ein Freistoß, der auf seinem Weg ins Tor vom Pfosten aufgehalten wurde. Es macht die deutschen Verlierer vielleicht auch ihren schärfsten Kritikern ein wenig sympathischer, dass sie auf menschliche Weise im Finale gescheitert sind, dass ausgerechnet ihr Torwart, der vermeintliche Roboter mit den gemeißelten Gesichtszügen, seinen Teil am Zustandekommen der Niederlage beiträgt. Und es macht den Fußball sympathisch, dass er sich um Theorien und Strategien nicht schert und keine logischen Sieger kennt. Die Faszination des Spiels, sie ist ungebrochen.

Die Deutschen werden ihre Enttäuschung schnell verarbeiten. Es hatte schließlich niemand von der Nationalmannschaft erwarten können, dass sie wirklich Weltmeister wird. Und für das Team 2002 war in der Geschichte des deutschen Fußballs – auf dem Weg vom EM-Debakel 2000 zum WM-Titel 2006 – ohnehin nur eine Übergangsrolle vorgesehen. Der Erfolg der deutschen Nationalmannschaft, er büßt auch durch die Niederlage gegen Brasilien nichts von seinem Glanz ein.

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