zum Hauptinhalt
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) trifft in Kiew auch mit der Oppositionspolitikerin und Fraktionsvorsitzenden Julia Timoschenko zusammen.

© dpa

Ukraine: Steinmeier: "Die Welt wartet auf Fortschritte"

Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat am Dienstag mit der Ukraine ein Land in der Dauerkrise besucht. Die nächsten Monate dürften sowohl für die Regierung als auch die Friedensvereinbarungen für den Osten des Landes entscheidend werden.

Der Maidan ist ein merkwürdiger Ort geworden. Immer noch bringen die Einwohner von Kiew regelmäßig Nelken auf ihren Platz der Unabhängigkeit, um an die mehr als hundert Menschen zu erinnern, die beim Aufstand im Februar 2014 hier erschossen wurden. Aber man kann auf dem Maidan inzwischen auch Toilettenpapier kaufen, das mit dem Gesicht von Wladimir Putin bedruckt ist. Und an der großen Säule hängt nun ein Plakat von Ministerpräsident Arseni Jazenjuk, einem der Helden von damals, mit einem aufgemalten Einschussloch mitten auf der Stirn.

Hass auf Russland, Wut auf die eigene politische Elite, Enttäuschung über Europa: Die Stimmung in der Ukraine ist nicht gut in diesen Tagen - auf dem Maidan nicht und auch nicht im Rest des Landes. Aber so sind die Zustände halt. Für Frank-Walter Steinmeier, mit Frankreichs neuem Außenminister Jean-Marc Ayrault für zwei Tage auf Kiew-Besuch, ist das nichts Neues: Was die Ukraine angeht, ist er Kummer gewohnt.

Mit einer gewissen Routine sagt er deshalb am Dienstag: „Wir sind hier zu einer Zeit, in der die politische Großwetterlage gerade mal wieder stürmisch ist.“ Steinmeier war mit seinen Kollegen aus Frankreich und Polen auch vor zwei Jahren hier, als die Scharfschützen für das Massaker auf dem Maidan sorgten. Der genaue Hergang ist bis heute nicht geklärt. Auf den versprochenen Untersuchungsbericht warten die Ukrainer noch immer.

Im Vergleich zu damals verliert die aktuelle Krise etwas an Dramatik. Gerade geht es darum, wie Jazenjuk nach dem Verlust seiner Mehrheit im Parlament weiterregieren kann. Der prowestliche Regierungschef hat in Europa noch seine Befürworter. Zuhause gilt er Vielen als Symbolfigur einer Politik, die mit der Korruption keineswegs so aufgeräumt hat wie erhofft.

Ein Misstrauensvotum hat Jazenjuk gerade so überstanden, obwohl sich Präsident Petro Poroschenko gegen ihn gestellt hatte. Spekuliert wird, dass die Oligarchen des Landes die Strippen gezogen haben. Bis auf Weiteres bleibt der 41-Jährige nun im Amt.

Das liegt an den Merkwürdigkeiten der ukrainischen Verfassung: Wenn sich bis Mitte März keine neue Mehrheit findet, könnte es zwar vorgezogene Parlamentswahlen geben. Das muss aber nicht sein. Und ein Misstrauensvotum, mit dem Jazenjuk gestürzt werden könnte, ist erst in einem halben Jahr wieder möglich. Wahrscheinlicher ist deshalb, dass es erst im Herbst Neuwahlen gibt.

Die nächsten Monate dürften nun entscheidend dafür werden, wie es mit der Ukraine weitergeht - auch, ob die Friedensvereinbarungen für den Osten des Landes, die vor einem Jahr in Minsk unterschrieben wurden, noch eine Chance haben. Befürchtet wird, dass wegen der Regierungskrise alles noch länger dauert als ohnehin schon. Steinmeier dazu:. „Die Welt wartet darauf, dass es Fortschritte geben wird. Wir können nicht hinnehmen, dass der vereinbarte Waffenstillstand immer wieder durchbrochen wird.“ Einstweilen verlässt sich der Westen noch auf Jazenjuk, mit dem man nicht die schlechtesten Erfahrungen gemacht hat. Aber ganz genau durchschaut noch niemand, wie sich das politische Machtgefüge in der Ukraine gerade ordnet. Auf jeden Fall gehört dazu wohl eine Frau, die manche schon abgeschrieben hatten: Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Die 55-Jährige, mit neuer Brille und ohne den blonden Haarkranz, der früher ihr Markenzeichen war, hat die Koalition mit Jazenjuk vergangene Woche verlassen. Jetzt gehört sie zu denen, die besonders lautstark seine Absetzung verlangen.

Was neu ist: Neben Poroschenko und Jazenjuk treffen sich die Außenminister aus dem Westen auch mit ihr. Man könne sich die Gesprächspartner eben nicht aussuchen, heißt es dazu. Steinmeier und Ayrault mahnen aber in jedem Gespräch: „Wir erwarten von allen politisch Verantwortlichen, jetzt nicht noch mehr Zeit zu verlieren und politische Grabenkämpfe zu unterlassen.“

Ihre Appelle kleiden die beiden Außenminister auch in die Formel, die begonnenen Reformen dürften nun „nicht auf halbem Weg stecken bleiben“. Wobei: Die meisten Ukrainer wären froh, wenn wenigstens der halbe Weg schon hinter ihnen läge. Und auch mit der deutsch-französischen Mahnung, dem „Geist des Maidan“ treu zu bleiben, ist die Sache nicht so einfach: Wer auf dem Platz war, kommt nicht gerade mit dem Eindruck zurück, dass viel davon übrig ist.  (dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false