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Kundgebung für die Militärs Anfang Juli auf Kairos Tahrir-Platz

© AFP

Umsturz in Ägypten: Militär und Polizei sollen vor Mursis Sturz Chaos geschürt haben

Die Hinweise verdichten sich, dass Militär und Polizei in Ägypten Chaos und Probleme vor Mursis Sturz geschürt haben. Die Angst vor alten Eliten aus der Mubarak-Zeit kehrt zurück.

Einer stach heraus aus dem graublauen Einerlei der Anzüge, Abdel Fattah al-Sissi, der General in seiner beigen Uniform. Beim „Familienfoto“ des neuen ägyptischen Kabinetts stand der höchstrangige Offizier Ägyptens ganz vorne in der ersten Reihe direkt neben dem von ihm ernannten Übergangspräsidenten Adly Mansour. Der 58-Jährige ist der eigentlich starke Mann Ägyptens - Oberbefehlshaber der Armee, Verteidigungsminister und Vize-Regierungschef in Personalunion. Sechs Monate lang haben die übrigen drei Damen und 31 Herren nach ihrem selbstgesetzten Fahrplan nun Zeit, Ägypten zurück in eine zivile Demokratie zu führen, die Wirtschaft vor dem Kollaps zu bewahren, die Anarchie im Land zu beenden und die kompromisslose Konfrontation zwischen den politischen Lagern aufzuweichen.

Dem Übergangspremier gelang es nicht, das islamistische Lager zu gewinnen

Der neue Übergangspremier Hazem al-Beblawi stützt sich dabei vor allem auf Fachleute und Politiker aus dem Lager der Opposition. Drei Frauen, drei Kopten und zehn Minister aus Mursis Amtszeit gehören der neuen Führungsriege an, deren innere Pluralität kaum breiter ausgefallen ist als die des gestürzten Vorgängerkabinetts. Denn Al-Beblawi gelang es nicht, auch nur einen einzigen Ressortchef aus dem islamistischen Lager zu gewinnen. Die Muslimbrüder verweigern sich grundsätzlich, weil sie die Entmachtung ihres Präsidenten Mursi als rechtswidrig ansehen. Die erzkonservativen Salafisten paktierten zuletzt zwar mit Mursis Gegnern, zur neuen Regierung jedoch halten sie sich ebenfalls konsequent auf Distanz. Mit dieser Taktik, so kalkulieren sie, könnten sie bei kommenden Parlamentswahlen die Muslimbrüder sogar als stärkste Fraktion überrunden.

Der Erfolg der Interimsregierung wird davon abhängen, ob sie die Probleme besser als Mursi lösen kann

Erfolg und Ansehen der Interimsregierung werden vor allem davon abhängen, ob sie die vertrackten Probleme des Landes besser in den Griff bekommt als ihre Vorgänger. Das Haushaltsdefizit ist untragbar geworden, auch wenn die zwölf Milliarden Dollar Soforthilfe aus den Golfstaaten erst einmal eine Atempause verschaffen. Die Kriminalität auf den Straßen wächst, immer mehr Bürger sind bewaffnet. Auf dem Sinai machen sich Extremisten breit, allein in den letzten zehn Tagen wurden 13 Polizisten und Soldaten getötet. Am Mittwoch nahmen Gotteskrieger zwei Armeekontrollpunkte unter Feuer und verletzten zehn Soldaten. Gleichzeitig wächst nach der wundersamen Rückkehr von Sprit an den Tankstellen und reibungsloser Stromversorgung der Eindruck im Volk, dass die tief und undurchdringlich gestaffelte Sechs-Millionen-Bürokratie einen Teil der Versorgungsprobleme vor dem 30. Juni bewusst verursacht hat, um dem Sturz Mursis auf ihre Weise nachzuhelfen.

Innenminister Mohamed Ibrahim jedenfalls, der im Übergangskabinett weiterhin die Polizei führt, hat die Dienstverweigerung zehntausender Beamter in den letzten zwölf Monaten geduldet und nichts für eine innere Reform der Ordnungskräfte getan. Seine Emissäre gingen einzig bei ausländischen Botschaften um neue Polizeiautos betteln, offenkundig mit Erfolg, wie die blitzenden Fahrzeugparks vor den Wachen und an den Straßensperren belegen. Und schlagartig einen Tag nach dem Putsch standen sämtliche seiner Polizisten wieder wie zu Mubaraks Zeiten in blütenweißen Uniformen an jeder Straßenecke. Auch der ägyptische Inlandsgeheimdienst, der nach dem Eindruck ausländischer Beobachter auffällig stark bei der Rebellenbewegung „Tamarod“ mitgemischt hat, fühlt sich offenbar wieder voll rehabilitiert. „Wir erleben die Rückkehr der Geheimdienstler“, beklagte kürzlich Ahmed Aref, Sprecher der Muslimbruderschaft. „Sie haben dieselben Gesichter wie die Folterer vor der Revolution gegen Mubarak.“

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