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Ex-General als Vorbild. Eine Frau hält in Zagreb eine Zeitung hoch, in der Gotovina als Held bezeichnet wird. AFP

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Politik: UN-Tribunal verurteilt kroatischen „Volkshelden“

24 Jahre Haft für Ex-General Gotovina – in seiner Heimat gilt er auch über ein Jahrzehnt nach den Balkan-Kriegen als unantastbar

Ein letztes „Vater unser“ sprachen die etwa tausend Demonstranten auf dem Ban-Jelasic-Platz in Zagreb, bevor am Freitag das Urteil gegen drei ehemalige kroatische Generäle vor dem Haager UN–Tribunal verkündet wurde. Versammelt hatten sich Veteranen, aber auch ältere Frauen, Jugendliche und Nationalisten, die die Verkündung des Urteils gegen die drei Generäle vor dem Haager Gericht auf der aufgestellten Videoleinwand in der kroatischen Hauptstadt verfolgen wollten. Doch das Gebet der Demonstranten blieb weitgehend wirkungslos; denn nur einen der drei Angeklagten, der ehemalige Armee-General Ivan Cermak, sprachen die Richter frei. Mit Entrüstung, Fassungslosigkeit und Tränen reagierten die Demonstranten auf die Urteile gegen die anderen beiden Angeklagten: Der ehemalige General Ante Gotovina, der bis heute in Kroatien wie ein Volksheld verehrt wird, erhielt eine Haftstrafe von 24 Jahren. Und auch der frühere Polizei-General Mladen Markac wurde zu 18 Jahren Haft verurteilt.

Gotovina war im Dezember 2005 auf der spanischen Kanareninsel Teneriffa verhaftet und an Den Haag überstellt worden. Er gehörte zu den meistgesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrechern des UN-Tribunals. Das Urteil erster Instanz ist noch nicht rechtskräftig. Die Anklage hatte für Gotovina 27 und für Markac 23 Jahre gefordert. Beide Ex-Generäle fand das Tribunal für schuldig, die Verantwortung für ungesetzliche Angriffe, Mord, Vertreibung und Plünderung in den ehemals mehrheitlich von Serben bewohnten Gebieten der Krajina zu tragen. Ereignet haben sich diese Verbrechen während der Balkan-Kriege zwischen Juli und September 1995 bei der Rückeroberung serbisch besetzter Gebiete durch die kroatischen Streitkräfte. Besonders schwer wiegt die Verurteilung wegen der Teilnahme an einem verbrecherischen Unternehmen, das von Staatsgründer Franjo Tudjman ausgegangen sei. Sein Ziel sei nicht nur die Befreiung serbisch besetzter Gebiete, sondern auch die Vertreibung der serbischen Volksgruppe gewesen, urteilten die Haager Richter. Etwa 200 000 Serben flohen damals, die Zwangsumsiedlung von wenigstens 20 000 Menschen wurde in dem Urteilsspruch ausdrücklich erwähnt.

Dass Verbrechen auch in einem Verteidigungskrieg möglich sind, ist für viele Kroaten nach wie völlig unakzeptabel. Nur ein Vertreter einer kroatischen Nichtregierungsorganisation betonte nach dem Haager Urteil, dass nun die Verbrechen während der Operation „Sturm“ im Jahre 1995 nicht mehr infrage gestellt werden könnten. Geschockt reagierte hingegen die Zagreber Führung auf das Urteil. Sie bezeichnete den Richterspruch als völlig unannehmbar für Kroatien. Kroatiens Regierung hofft nun auf eine andere Bewertung durch die zweite Instanz, denn Gotovina und Markac werden zweifellos in die Berufung gehen.

Bis dahin wollen Regierungschefin Jadranka Kosor und Präsident Ivo Josipovic auch im Ausland aktiv werden. Josipovic stellte sich vor die Veteranen und sagte: „Ich bin überzeugt, dass es bei der Verteidigung Kroatiens kein gemeinsames verbrecherisches Unternehmen gab.“

Auf die Veteranen, die sich am Freitag im Zentrum Zagrebs versammelten, wird das allerdings kaum Eindruck machen. Auf Transparenten bezeichneten sie Josipovic, Kosor und weitere führende kroatische Politiker als Verräter; postwendend hieß es, hinter dem Haager UN-Tribunal stecke eine proserbische Verschwörung des Westens. Die antiwestliche Stimmung und der Euroskeptizismus dürften in Kroatien nun noch stärker werden. Etliche Fahnen gegen die EU wurden geschwenkt – und dies wenige Monate vor dem Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen und ein knappes Jahr vor dem kroatischen Referendum über den EU-Beitritt.

Doch nicht nur der beträchtliche Widerstand gegen die EU wiegt in Kroatien, das in einer tiefen sozialen und wirtschaftlichen Krise steckt, sehr schwer. Hinzu kommt, dass nun wohl auch eine Neuinterpretation der eigenen Geschichte wird beginnen müssen. Wohin die Reise geht, zeigten die serbischen Reaktionen. In Belgrad wurde das Urteil begrüßt, weil nun niemand mehr die „ethnischen Säuberungen“ während des Krieges durch die kroatischen Streitkräfte in Frage stellen könne.

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