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Politik: Und sie marschieren doch

Die Proteste gegen Israels Rückzug aus dem Gazastreifen dauern an – mit wenig Aussicht auf Erfolg

Die Siedlerführung und der militante Kern der Siedler-Aktivisten geben nicht auf: Tausende Protestierer gegen die geplanten Siedlungsräumungen wollten in der Nacht versuchen, zum Gusch-Katif-Siedlungsblock im Gazastreifen vorzudringen. Dies trotz ausdrücklichen Verbotes der Polizei und der Armee.

Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche haben sich 20000 Siedler aus dem Westjordanland und ihre nationalistischen Sympathisanten aus dem Kernland in unmittelbarer Umgebung des Gazastreifens eingefunden zu Protestkundgebungen und Solidaritätsmärschen zu „unseren heldenhaften Brüdern“ im zur Räumung bestimmten Gusch-Katif-Siedlungsblock. Diesmal fand die erste Kundgebung Dienstagnacht in Sderot statt, der von palästinensischen Raketenangriffen gezeichneten Kleinstadt unweit des Gazastreifens. Danach setzte sich, mit polizeilicher Bewilligung ein kilometerlanger Bus- und PKW-Konvoi in Richtung Ofakim in Bewegung. Von dieser Ortschaft aus wollen die militanten Siedler sowohl diese als auch nächste Woche von der Polizei verbotene Vorstöße in Richtung Gusch Katif unternehmen.

Triumphierend meldete der Siedlerrat am Mittwochmittag, dass Hunderte bereits in der Nacht zuvor in den Siedlungsblock eingedrungen seien und Tausende es nach der Protestkundgebung am Abend erneut versuchen würden. Der Oberkommandierende der Polizei, Mosche Karadi, ordnete daraufhin an, 7000 Polizisten um Ofakim zu stationieren, um den verbotenen Marsch der Siedler zu verhindern.

Der Vorsitzende des Siedlerrates, Benzi Lieberman, bestritt energisch, dass die Siedlerführung insgeheim eingesehen habe, dass sie die ab 17.August erfolgende Räumung aller Siedlungen im Gazastreifen nicht mehr verhindern könne, diese Überzeugung aber gegenüber dem militanten Kreis ihrer Anhänger verheimliche. „Wir glauben von ganzem Herzen, dass es uns verboten ist, die Hände hochzuhalten. Auch im Fußball geschieht es, dass man in der Nachspielzeit ein Tor schießt und gewinnt. Mit Hilfe Gottes kann man auch in der Politik dramatische Entwicklungen in letzter Minute aufhalten. Wir glauben, dass es möglich ist, alles rückgängig zu machen.“

Die neueste vom Amt des Ministerpräsidenten in Auftrag gegebene Umfrage unter diesen Siedlern im Gusch-Katif-Block und anderswo im Gazastreifen sowie in den vier ebenfalls zur Räumung bestimmen Siedlungen im nördlichen Westjordanland zeigt: 80 Prozent der Siedler in Gusch Katif haben noch nicht einmal begonnen, ihre Habseligkeiten für den bevorstehenden Umzug einzupacken. Die meisten wollen ihre Häuser nicht vor der letzten zweitägigen Räumungsfrist vom 15. bis zum 17.August verlassen. „Die Mehrheit wird dann in Autobusse oder den eigenen Wagen steigen und das Gebiet verlassen“, glaubt man im Amt des Regierungschefs. „Nur eine kleine Minderheit, deren Größe schwer abzuschätzen ist, wird sich der Räumung widersetzen – vom passiven bis zum gewaltsamen Widerstand.“

Noch immer ist eine deutliche Mehrheit der Israelis insgesamt für Scharons „einseitigen Loslösungsplan“. Vor allem aber macht sich im Großraum Tel Aviv und anderswo in diesen letzten Wochen vor Räumungsbeginn Gleichgültigkeit breit. Dies nachdem die militanten Siedler aufgehört haben, mittels Autobahn- und Straßenblockaden das öffentliche Leben zu stören und sich nun über hundert Kilometer weiter südlich in der fast menschenleeren Gegend am Rande der Negevwüste mit Polizei und Armee herumschlagen. Die nichtreligiöse Mehrheit der Israelis versteht die Protestaktionen der ausnahmslos religiösen Siedleraktivisten als abendliche TV-Unterhaltung, ist aber gleichzeitig gespannt, wie weit Letztere ab dem 17.August in ihrem Widerstand gehen werden. Zwei Drittel aller Israelis, so das erstaunliche Ergebnis der neuesten Umfrage eines Fernsehsenders, wissen gar nicht, wo sich der Gusch-Katif-Siedlungsblock befindet.

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