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Der Angeklagte Sascha K. (l) steht neben seinem Anwalt Peter Jacobi (r) und einem Referendar aus der Kanzlei von Jacobi vor Prozessbeginn am 05.11.2015 im Gerichtssaal des Strafjustizgebäudes in Hamburg.

© dpa

Urteil in Hamburg: „Darf man niemals schütteln“ - Kindesmisshandlung erschüttert Richter

Diese Tat erschüttert sogar einen erfahrenen Strafrichter: Ein Vater reißt nachts sein kleines Kind aus dem Schlaf und schüttelt es halbtot - offenbar grundlos. Nach dem Urteil kündigt das Gericht eine ungewöhnliche Hilfsaktion für das schwer geschädigte Baby an.

Ein betrunkener und frustrierter Vater holt nachts seinen drei Monate alten Sohn aus dem Kinderbett und schüttelt ihn fast zu Tode. Das Baby überlebt, ist aber seither schwerstbehindert. Der Vorsitzende Richter der Strafkammer am Hamburger Landgericht, Ulrich Weißmann, offenbart seine tiefe Betroffenheit, als er am Donnerstag das Urteil von siebeneinhalb Jahren Haft für den 27-Jährigen verkündet. „Als ich das erste Mal von dem Fall hörte, musste ich an das Lied der Sängerin Bettina Wegner denken, „Sind so kleine Hände“.“ Und er fährt fort: „Sind so kleine Köpfe, darf man niemals schütteln.“

Bereits ein kleines Schütteln schädige nach Auskunft der im Prozess gehörten Gutachter das Kind. Das dürften Eltern nie vergessen. Was in der Nacht zum 29. April in der Wohnung in Hamburg-Finkenwerder genau geschah, konnte das Gericht nicht klären. Fest steht, dass die verlobten Eltern am Vortag nicht arbeiteten, sondern stundenlang am Computer und mit dem Handy spielten, viel Alkoholisches tranken und schließlich in Streit gerieten. Das Baby schlief dabei dennoch ein. Nach eigener Aussage ging der Vater nachts in das Kinderzimmer, hob den Säugling aus dem Bettchen und schlug ihm ein bis drei Mal mit dem Handballen gegen den Hinterkopf. Ob er es dabei oder später auch heftig schüttelte, konnte er nicht sagen.

Nach Angaben einer Gutachterin muss das Kind fünf bis zehn Sekunden lang bis zu 30 Mal hin- und hergeschüttelt worden sein. Der Kopf müsse dabei „peitschenartig“ vor- und zurückgeschnellt sein. Zum Zustand des Kindes am Morgen danach zitiert Weißmann den Angeklagten: „Die Knochen seien wie aus dem Körper herausgefallen gewesen und das Kind sei wie ein Kartoffelsack zusammengefallen.“ Der Vater weckte die Mutter und alarmierte die Rettungskräfte. Nach telefonischer Anweisung der Retter reanimierten die Eltern das Baby. Nach sieben Operationen liegt das Kind inzwischen auf einer Palliativstation.

Vater seit seinem 16. Lebensjahr alkoholabhängig

Es ist blind und taub, kann nicht schlucken, hat an Armen und Beinen spastische Lähmungen. Nach Auskunft der Ärzte wird es nie wieder gesund werden. Seine Lebenserwartung beträgt maximal zehn Jahre. Der Richter geht auch auf die Lebensgeschichte des Vaters ein. Er sei von seinem Stiefvater geschlagen worden und in einem Kinderheim in Belgien aufgewachsen. Seit seinem 16. Lebensjahr sei er alkoholabhängig. Zeitweise sei er obdachlos gewesen, wegen Gewaltdelikten unter Alkoholeinfluss sei er vorbestraft. Nach einer gescheiterten Beziehung, aus der eine Tochter hervorging, habe er 2013 seine jetzige Verlobte in einer Entzugsklinik kennengelernt.

Von Anfang an habe der kleine Sohn, der Anfang März 2015 geboren wurde, schlechte Ausgangsbedingungen gehabt. Das Jugendamt wurde bereits von der Geburtsklinik eingeschaltet. Nach anfänglichen Konflikten hätten die Eltern Ratschläge angenommen. Als das zunächst untergewichtige Kind zunahm, stellte das Jugendamt die Hausbesuche ein - nur wenige Tage vor der Tat.

Unterdessen stritten sich der Angeklagte und die 30 Jahre alte Mutter immer wieder, wenige Wochen nach der Geburt so lautstark, dass die Polizei anrückte. „Es ist bekannt und normal, dass junge Eltern oft überfordert sind, auch Eifersucht des Vaters ist nicht ungewöhnlich“, erklärt Weißmann verständnisvoll. Er grenzte die Tat aber scharf von anderen Fällen ab, bei denen Eltern erst nach langen Bemühungen, ihr Kind zu beruhigen, aus Verzweiflung schütteln. Diese Tat sei völlig grundlos verübt worden: „Es gab überhaupt keinen Anlass, dieses Kind so zu schütteln.“ Bei der Strafe bleibt das Gericht unter der Forderung von Staatsanwaltschaft und Nebenklage.

Die Verteidigung, die zuvor auf fünf Jahre plädiert hatte, nimmt das Urteil an. Zugunsten des Angeklagten wertete das Gericht das Geständnis des 27-Jährigen und die gezeigte Reue. Es ordnete zudem eine Alkoholentzugstherapie an. „Das wird kein Zuckerschlecken für Sie sein“, sagt der Vorsitzende Richter. Der Angeklagte müsse zusätzlich ein Schmerzensgeld von mindestens 100 000 Euro zahlen. Dass der Vater das Geld voraussichtlich nicht wird zahlen können, ist Weißmann klar. Er greift darum zum Schluss eine Anregung von Bürgern auf, für das schwerstbehinderte Baby ein Spendenkonto einzurichten. (dpa)

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