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Politik: US-Wahlen: Welcher Papierschnipsel zählt als Stimme?

Sie arbeiten in Schichten, oft Stunden lang ohne Pause. Sie wissen, dass sie scharf beobachtet werden.

Sie arbeiten in Schichten, oft Stunden lang ohne Pause. Sie wissen, dass sie scharf beobachtet werden. Gleich dutzende Aufpasser blicken über ihre Schulter. Und die ganze Welt ist gespannt, was bei ihrer Arbeit heraus kommt - denn davon könnte abhängen, wer der nächste Präsident der Supermacht USA wird. Keine Frage: Die Männer und Frauen, die zurzeit in Florida per Hand Hunderttausende Stimmen auszählen, sind um ihre Aufgabe nicht zu beneiden. Mit jedem Tag macht sich die Müdigkeit deutlicher bemerkbar, und das Misstrauen hängt in den Zählstellen fast greifbar in der Luft.

Und dazu kommt der Spott: Die Zähler sind sich darüber im Klaren, dass man vor allem im Ausland ihre Arbeit belächelt, sich über die antiquierten US-Methoden amüsiert. "Wir wissen, dass man überall auf der Welt im Fernsehen Bilder von uns gezeigt hat, wie wir die Stimmkarten ins Licht halten - das lässt uns wie Idioten aussehen", beklagt die Zählerin Conny Butler in Miami-Dade County.

Mehr als eine Millionen Stimmen werden allein in diesem Bezirk und in Palm Beach County zurzeit noch einmal unter die Lupe genommen. Die Handauszähler sind meistens Freiwillige - oft Angestellte der kommunalen Verwaltungen, die in der Arbeit eine ehrenvolle Aufgabe sehen. Manche geben inzwischen unumwunden zu, dass sie es zutiefst bereuen, sich für diese Aufgabe gemeldet zu haben. Vor allem die Republikaner, die in der manuellen Auszählung eine unfaire Aktion gegen ihren Präsidentschaftskandidaten George W. Bush sehen, blicken ihnen so scharf auf die Hände, dass die Nervösität unweigerlich steigt. Und die verbalen Auseinandersetzungen zunehmen.

Die von beiden Parteien entsandten Beobachter sind angehalten, möglichst nichts zu sagen. Sie sollen sich nur dann zu Wort melden, wenn sie Einwände gegen Bewertungen haben. Aber meistens halten sich die Vertreter beider Seiten nicht daran. "Mit jedem Tag nimmt die Anspannung zu", sagt Conny Burton. "Immer häufiger gibt es Wortwechsel zwischen den Aufpassern auf beiden Seiten."

Und immer mehr Anschuldigungen. Republikanische Beobachter sehen nach eigenen Worten "ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt". In Miami-Dade County sei der Boden schon nach dem maschinellen Vorsortieren vor der Handauszählung mit "Konfetti" übersät gewesen - ausgestanzten Papierkreisen, deren Fehlen auf der Wahlkarte eine Stimme bedeutet - entweder für den Demokraten Al Gore und oder Republikaner Bush.

Um diese Mini-Fetzen geht es jetzt hauptsächlich bei der Nachzählung: Es liegt im Ermessen der jeweiligen Bezirks-Wahlkommissionen, ob auch Stanzabdrücke oder halb ausgestanzte Löcher mit hängenden Schnipseln als Stimmen anerkannt werden. In zwei Fällen wollen Republikaner gesehen haben, wie demokratische Zähler Papier-Fetzen aus der Karten heraus drückten und anschließend verspeisten.

Mehrere Male soll es vorgekommen sein, dass Schnipsel mit einem Klebeband in Löcher eingefügt wurden - und das alles, so die Republikaner, geschah stets zu Lasten von Bush und zum Vorteil von Gore.

"Die Leute arbeiten so hart. Es ist einfach unfair und empörend, ihnen Unehrlichkeit zu unterstellen", kritisiert Richter Charles Burton, Leiter der Wahlkommission in Palm Beach County. Larry Sampson, Zähler in Broward County, kann dieser Klage nur zustimmen. Er ist Brillenträger, und nach dem Auszählen von mehr als 1000 Stimmen machen ihm die Augen zu schaffen. Viele Pausen kann er sich nicht gönnen. Und wenn, dann muss er sich wie alle anderen Zähler auch jedes Mal schriftlich ab- und wieder anmelden. Das gilt sogar für den Gang aufs stille Örtchen.

Manchmal seien 50 Beobachter auf einmal im Raum gewesen, so schildert eine republikanische Bezirksangestellte ihre Erfahrungen beim Auszählen im Bezirk Palm Beach. Die Atmosphäre sei immer unerträglicher geworden. "An einem Punkt konnte ich es einfach nicht mehr aushalten. Ich bin aufgestanden und habe gesagt, dass ich die Nase voll habe. Ich bin heraus gegangen und nicht mehr zurück gekommen."

Gabriele Chwallek

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