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Rosen liegen vor dem Bild von Oury Jalloh am 07.01.2014 am Hauptbahnhof in Dessau-Roßlau (Sachsen-Anhalt).

© picture alliance / dpa

Verbrannt in einer Polizeizelle in Dessau: Neues Gutachten stärkt Zweifel an Behördenversion vom Tode Oury Jallohs

2005 verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle. Das Geschehen ist unklar. Eine Initiative will belegen, dass er angezündet wurde.

Familie und Freunde des verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh wollen eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die damals diensthabenden Dessauer Polizisten erzwingen. Hintergrund ist ein neues Brandgutachten des britischen Brandsachverständigen Iain Peck, das am Mittwoch in Berlin von dem Forensiker vorgestellt wurde.

Peck kommt darin zu dem Ergebnis, dass der an Händen und Füßen gefesselte Oury Jalloh von Polizeibeamten angezündet worden sein muss und zuvor „höchstwahrscheinlich“ mit einer brennbaren Flüssigkeit wie Benzin übergossen wurde.

Unterstützt von der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ fordert die Familie des aus Sierra Leone stammenden Jalloh von der Bundesanwaltschaft die Wiederaufnahme von Ermittlungen wegen Mordes gegen Polizeibeamte des Reviers. Zudem werde sie eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt gegen die Generalstaatsanwaltschaft von Sachsen-Anhalt stellen, kündigte die Initiative am Mittwoch an. Diese hatte ihre Ermittlungen dazu 2018 eingestellt.

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Mit dem neuen Brandgutachten „wollen wir die Fakten- und Beweislage vergrößern und den öffentlichen Druck erhöhen“, sagte Nadine Saeed von der Initiative. Der Weg über die Bundesanwaltschaft werde gewählt, weil es kein Vertrauen mehr in die Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft in Sachsen-Anhalt gebe.

Für das Gutachten baute der Sachverständige Peck die Zelle 5 im Keller des Polizeireviers Dessau originalgetreu nach. Einziger Unterschied: Für eine Videodokumentation wurde die vierte Wand der ansonsten komplett gefliesten Zelle aus feuerfestem Glas errichtet.

"Break the silence" steht in Großbuchstaben auf einem Plakat am Eingang zu den Räumlichkeiten, in denen eine Pressekonferenz der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh stattfand.

© dpa

Mit einem Dummy aus Schweinestücken und Schweinehaut in den Körpermaßen von Jalloh stellte der Brandgutachter die Abläufe an diesem 7. Januar 2005 in Echtzeit nach. Die offizielle Behördenversion, wonach sich der damals 36-jährige Jalloh an Händen und Füßen gefesselt auf einer feuerfesten Matratze fixiert selbst angezündet haben soll, hält er deshalb für unwahrscheinlich.

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Mehrere entsprechend durchgeführte Brandversuche waren laut Peck vergeblich und gaben das auf Fotos festgehaltene Brandbild der damaligen Zelle nicht wieder. Erst als Peck 2,5 Liter Benzin über dem Dummy ausgoß und den Körper anzündete, entstand ein Bild mit vergleichbaren Brandschäden. Darüber hinaus hätten Bewegungsversuche mit einer an vier Punkten fixierten Person auf einer Matratze in Originalgröße gezeigt, dass Jalloh weder den Bewegungsspielraum noch andere Möglichkeiten hatte, die Matratze selbst anzuzünden, sagte Peck.

Andere Brandgutachter, Mediziner und Kriminologen waren in den vergangenen Jahren zu einem gleichen Ergebnis gekommen. Zudem kam ein forensisches Gutachten des Frankfurter Radiologen Boris Bodelle 2019 zu dem Schluss, dass Jalloh vor seinem Tod schwer misshandelt wurde. Die Staatsanwaltschaft sah aber bislang trotzdem keine neuen Ermittlungsansätze.

Die sachsen-anhaltische Linken-Politikerin Henriette Quade erklärte am Mittwoch auf Twitter, das neue Gutachten müsse „ernst genommen werden“. Die Behauptung, Jalloh habe sich selbst angezündet, sei auch bisher nicht belegt gewesen. „Mit diesem Gutachten ist sie endgültig nicht zu halten“, so Quade. (epd)

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