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Politik: Verdammt eng hier

Von Bernd Ulrich

Knapp drei Wochen ist es nun her, dass die See bebte in Südasien. 18 Tage lang zog diese Katastrophe fast alle öffentliche Aufmerksamkeit auf sich. Doch nun beginnen die, die nicht direkt betroffen sind, sich abzuwenden. Die Schlagzeilen werden wieder „normal“. In Palästina wurde gewählt, in Bagdad wird gebombt und eine Frau Müller von der CDU hat Geld bekommen von der Dresdner Bank. Das Leben will halt weitergehen. Außerdem setzt nach der Spendeneuphorie die erste Ernüchterung ein. Vieles läuft schief mit den Hilfsgeldern. Also, her mit den kleineren Nachrichten!

Die Frage ist: Was bleibt? Was haben diese Wochen mit uns Zuschauern und Spendern gemacht? Der „Economist“ hat errechnet, dass für die fünf Millionen Opfer des Tsunami weltweit 800 Dollar pro Kopf gespendet wurden. Das ist zwanzig Mal so viel wie bei Naturkatastrophen sonst üblich. Was immer im Einzelnen die Motive für diese Spendenexplosion gewesen sein mögen, sie zeugt davon, dass den meisten in diesen Wochen brennend bewusst geworden ist, was sie latent schon länger wussten: Die Welt ist klein geworden, um genau zu sein: verdammt eng.

Die Schicksale der Menschen laufen zusammen. Trennungen aufrechtzuerhalten, auch globales soziales Gefälle, wird immer schwieriger; das auszugleichen, wird die westlichen Industrienationen einiges kosten, mehr als eine einmalige Spendenflut. Mit diesem Tsunami ist das Wort von der Weltinnenpolitik aus der Sphäre des Normativen und Gutmenschigen in die Sphäre der Realpolitik getreten.

Natürlich, man darf nicht naiv sein. Dies war nicht in dem Sinne der Beginn einer neuen Weltinnenpolitik, dass von nun an immer intensiver global gedacht und gehandelt würde. Im Gegenteil. Das Gefühl von drangvoller Enge, diese Belastung, ständig die Leiden aller vor Augen zu haben – all das führt auch zu scharfen Gegenreaktionen. Man möchte sich trennen und abgrenzen. In Afrika soll der weiße Mann vom Kontinent gedrängt werden, in Israel wird eine Mauer gebaut und Australien wird seine exterritorialen Auffanglager für asiatische Flüchtlinge gewiss nicht aus lauter Katastrophen-Mitgefühl dichtmachen. Auch unser Interesse für die Fernsten, die uns so nahe rückten, wird wieder nachlassen. Und doch bildet sich mit internationalem Terror, mit den Flüchtlingen, den Katastrophen und den ansteckenden Krankheiten in Wellen ein immer klareres Bewusstsein dafür heraus, dass die Erde ein Innenraum ist.

Es ist die Aufgabe der Regierungen, daraus nachhaltige Politik zu machen. Nüchtern werden die Politiker nun denken: Mal sehen, wie lange diese Empathie anhält. Mal sehen, was den Leuten die Eine Welt noch wert ist, wenn wir versuchen, die Entwicklungshilfe zu verdoppeln und dafür anderswo zu kürzen. Recht haben sie, wenn sie uns so kalt anschauen. Aber haben sie auch das richtige Maß für die Gestimmtheit der Bürger? Nie und nimmer hätten Schröder oder Fischer an eine solche Spendenbereitschaft hierzulande geglaubt. Vielmehr haben sie das Jammern der armen Deutschen 2004 sehr, sehr ernst genommen. Jetzt hat ihnen die Flut in Asien sogar den neuerlichen Protest gegen Hartz IV erspart, weil die ferne Katastrophe offenbar Proportionen gerade gerückt hat. Darin liegt eine große Chance für hiesige Reformpolitik, dass sie vor dem Hintergrund von Weltinnenpolitik abläuft, dass man bei uns global helfen und global konkurrieren können will.

Die Deutschen wissen heute mehr über Tsunamis und mehr über Sumatra. Und mehr über sich selbst.

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