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Politik: Verlogene Elite von gestern

Von Hermann Rudolph

Skandalöse Behauptungen werden selbst dann nicht tolerierbarer, wenn sie abwegig sind. Auch dass sich nicht unwichtige PDS-Funktionäre von der Äußerung Hans Modrows distanzieren, der Westen trage Mitschuld an den Mauertoten, nimmt der Sache nicht die alarmierenden Züge. Modrow ist immerhin Ehrenvorsitzender der zur Linkspartei mutierten Partei, die in Berlin und Schwerin in den Regierungen sitzt und im Bundestag eine wichtige Rolle spielen will. Wenn er in horrender Weise die Geschichte verdreht, verhöhnt er nicht nur Opfer und Richter. Mit der Gleichsetzung der Verantwortung „beider Seiten“, also des diktatorischen DDR-Regimes und des demokratischen Rechtsstaats Bundesrepublik, schlägt er Erkenntnissen und Erfahrungen ins Gesicht, die zur moralischen Erbschaft der Nachkriegsgeschichte gehören.

Gerade in der gegenwärtigen Situation, in der alte Stasi-Kader Morgenluft wittern, kann man Modrows Geschichtsklitterung auch nicht als Verirrungen eines Ewiggestrigen abtun. Man muss sie vielmehr als Anzeichen eines schleichenden Verfalls von Maßstäben des Verhältnisses zur DDR-Vergangenheit nehmen. Von seinen Äußerungen führt eine direkte Spur zu den provokativen Stasi-Auftritten in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, aber auch zu der selbstgerechten Entrüstung, mit der die Stasi-Veteranenvereine auf den Innensenator reagiert haben, als er eine – gewiss angreifbare – Parallele zwischen ihnen und den Waffen-SS-Hilfsorganisationen zog. Dahinter steht ein schleichender Geschichtsrevisionismus, der verschleiern soll, was war, um zu rechtfertigen, was vor sechzehn Jahren auf dem berühmten Müllhaufen der Geschichte landete – wahrhaftig aus guten Gründen.

Zugegeben, ganz neu ist das alles nicht. Kaum hatten die alten Kader gemerkt, dass der Rechtsstaat kein Racheengel ist, begann die Arbeit der Verharmlosung. Die DDR ein Experiment, das leider nicht so recht gelungen ist, die Stasi ein Geheimdienst wie jeder andere, und für das gesunde Volksempfinden die Bewusstseins-Volte, die den Gemeinplatz, dass in der DDR „nicht alles schlecht“ war, zu der kühnen Behauptung ummünzt, dass früher doch vieles besser gewesen sei. Im Schatten der Schwierigkeiten in den neuen Ländern, gedüngt von DDR-Nostalgie und einer rapide um sich greifenden Erinnerungsschwäche, ist dieses vergiftende Gewächs trefflich gediehen. Auch wenn man sich nicht hätte träumen lassen, dass sich die Spitzel und Aufseher von ehedem, von denen man angenommen hätte, der Gang der Dinge hätte ihnen auf immer und ewig die Sprache verschlagen, mit ihrer Lesart einmal wieder in die Öffentlichkeit wagen würden.

Und nirgendwo Einsicht, Reue oder gar das Eingeständnis von Schuld. Stattdessen trotziges Beharren auf dem offenkundigen Versagen und verbohrte Überheblichkeit angesichts eines unbestreitbaren Scheiterns. Das ist vielleicht das Deprimierendste an diesem Kapitel der Nachwendezeit, dass bis auf den armen Schabowski, dem man sein Schuldbekenntnis mit ausdauernder Klassenkeile heimzahlt, so gut wie kein namhafter Vertreter des DDR-Regimes ehrlich mit sich selbst ins Gericht gegangen ist. Das politische Versagen schlägt um in ein moralisches. Frei nach Brecht, obwohl sich dessen verblüffte, anklagende Frage auf das Dritte Reich bezog: Das hat einmal das Land regiert?

Vermutlich sind die Distanzierungen, mit denen man in den Reihen der Linkspartei auf die Modrow-Äußerungen reagiert hat, nicht nur taktisch gemeint – auch wenn ihr morgen beginnender Parteitag daran seinen Anteil haben mag. Aber sie kann nicht behaupten, sie habe damit nichts zu tun. Zwar hat sie sich mit ihrer Geschichte auseinander gesetzt. Aber oft geschah das nur in Gestalt spitzfindiger Fehlerdiskussionen, und über weite Strecken war diese Vergangenheitsbewältigung von Vergangenheitskosmetik nur schwer zu unterscheiden. Deshalb grassiert in ihrem ideologischen Umfeld noch immer ein heillos gutes Gewissen gegenüber dem DDR-Unrecht. Von nichts kommt nichts: Davon kommt Hohenschönhausen, davon Modrow.

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