zum Hauptinhalt

Politik: Versuch, Berlins Politik zu loben Von Harald Martenstein

Kinder, Kinder, wie bekommt man bloß mehr Weltniveau in die Berliner Politik hinein? Fast immer, wenn ich einen Berliner Politiker im Fernsehen sehe, denke ich, was viele denken: „Als Nachbar in unserer Kleingartenkolonie wäre diese Person möglicherweise angenehm, aber Willy Brandt oder Richard von Weizsäcker ist diese Person nicht gerade.

Kinder, Kinder, wie bekommt man bloß mehr Weltniveau in die Berliner Politik hinein? Fast immer, wenn ich einen Berliner Politiker im Fernsehen sehe, denke ich, was viele denken: „Als Nachbar in unserer Kleingartenkolonie wäre diese Person möglicherweise angenehm, aber Willy Brandt oder Richard von Weizsäcker ist diese Person nicht gerade.“

Sie halten keine bemerkenswerten Reden. Sie denken nicht groß über die fernere Zukunft nach. Sie riskieren keine originellen Ideen. Und das in einer Stadt, in der die halbe geistige Elite des Landes wohnt! Mein Gott, wen soll ich bloß wählen? Die Berliner SPD finde ich schwammig, die Berliner CDU finde ich prollig, die FDP hat mir zu wenig Herz, die Linke ist mir zu leistungsfeindlich, außerdem hat die WASG was gegen gute Restaurants. Eine Partei, die vor dem „Borchardt“ gegen gutes Essen protestiert, mit der Begründung, es sei für Arbeitslose zu teuer, würde auch zum zweiten Mal das Stadtschloß sprengen, mit der Begründung, dass dort keine Sozialwohnungen drin sind. Das sind ja Barbaren. Und die Grünen lassen als ihr wichtigstes politisches Ziel erkennen, wieder in die Regierung aufgenommen zu werden.

Aber es ist kein Berliner Problem, sondern ein allgemein deutsches. Es gibt einfach nur noch wenige interessante Politiker. Das Fernsehen und die Popindustrie saugen alles auf. Früher ging man, wenn man gerne redete und gern im Mittelpunkt stand und wenn es einem nichts ausmachte, von Scheinwerfern angestrahlt und von Leuten angeschaut zu werden, eben in eine Partei. Heute geht man ins Showgeschäft. Vielleicht wäre vor 50 Jahren Günther Jauch in die Politik gegangen, zur CDU, und Harald Schmidt zur FDP, und Anke Engelke zu den Grünen, falls es die schon gegeben hätte. Wolfgang Niedecken, Herbert Grönemeyer und Udo Lindenberg wären sehr gute SPD-Politiker geworden, besser als seinerzeit das Trio Schröder, Scharping, Lafontaine. Andererseits denke ich mir: Wenn heute wirklich ein neuer Hitler die Szene beträte, ich meine, ein Mensch mit ähnlichem Charakter und ähnlich aggressiven Allmachtsfantasien, dann würde der sehr wahrscheinlich eine Talkshow bekommen und dazu die Kolumne „Hundert Zeilen Hitler“. Für so jemandes Ehrgeiz wäre die NPD doch viel zu poplig. Es hat auch sein Gutes, dass unsere Politiker so langweilig sind, denke ich, und gehe dann am Sonntag doch zur Wahl, irgendwas wird mir in der Kabine schon einfallen.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false