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Politik: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Der lange Weg zu vorzeitigen Neuwahlen am 18. September 2005

Berlin Die Reformpolitik, die Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im März 2003 in seiner Rede zur Agenda 2010 ankündigte, stieß in der Bevölkerung und in Teilen seiner eigenen Partei auf wenig Begeisterung. Unter dem Druck der Kritik von SPD-Linken am Reformkurs erodierte die politische Basis Schröders im Parlament – zumindest nach seiner eigenen Einschätzung.

In einer Serie von Landtagswahlniederlagen kippte die rot-grüne Mehrheit im Bundesrat. Ihren traurigen Höhepunkt fand diese Entwicklung im Scheitern von Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) in Schleswig-Holstein. Nach einem knappen Wahlausgang bemühte sich Simonis um die Fortsetzung ihrer rot-grünen Koalition, die von der dänischen Minderheitenpartei Südschleswigscher Wählerverband (SSW) gebilligt werden sollte. Ein Abweichler aus den eigenen Reihen verweigerte ihr in vier quälenden Wahlgängen seine Stimme bei der Wahl des Ministerpräsidenten.

Nach der verheerenden Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen entschlossen sich der Kanzler und SPD-Parteichef Franz Müntefering am Abend des 22. Mai zur Flucht nach vorn: Um die Dissidenten in ihrer Fraktion zu disziplinieren, kündigten sie an, vorgezogene Neuwahlen anzustreben. Doch das Grundgesetz sieht für diesen Vorgang weder ein Verfahren noch ein Selbstauflösungsrecht des Bundestags vor. Deshalb kam die verfassungsrechtlich umstrittene Konstruktion der Auflösung des Bundestags nach Artikel 68 Grundgesetz zur Anwendung, die Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl bereits 1982 erprobt hatte. Schröder stellte sich und seine Politik am 1. Juli mit dem erklärten Ziel zur Abstimmung, das Vertrauen der Parlamentsmehrheit zu verlieren, um danach den Bundespräsidenten um die Auflösung des Parlaments und die Einleitung von Neuwahlen bitten zu können.

Wie erwartet verlor Schröder die Abstimmung und ersuchte Bundespräsident Horst Köhler, den Bundestag aufzulösen. Köhler folgte am 21. Juli der Einschätzung Schröders, dass „die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag die Handlungsfähigkeit des Kanzlers so beeinträchtigen, dass er eine von stetiger Zustimmung der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll verfolgen kann“, und setzte Neuwahlen für den 18. September an. „Jetzt haben Sie es in der Hand“, sagte Köhler in einer Fernsehansprache.

Das stimmte nicht ganz. Erst nachdem das Bundesverfassungsgericht am 25. August die Klagen der Bundestagsabgeordneten Werner Schulz (Grüne) und Jelena Hoffmann (SPD) gegen die Neuwahlentscheidung des Kanzlers abgewiesen hatte, war der Weg zu Wahlen endgültig frei. Am Sonntag war es so weit. gsa

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