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Verzicht auf Kanzlerkandidatur: Baerbocks Scheitern ist Habecks Chance
Mit ihrem CNN-Interview verstößt die Außenministerin gegen die politischen Sitten – und gesteht ihr Scheitern ein. Dass die Grünen an ihren Kanzler-Ambitionen festhalten, ist trotzdem richtig.

Stand:
Das hat es in Deutschland auch noch nicht gegeben: Eine Spitzenpolitikerin erklärt ihren Verzicht auf ihre mögliche Kanzlerkandidatur am Rande eines Nato-Gipfels in Washington, auf Englisch, in einem Interview mit dem US-amerikanischen Fernsehsender CNN.
Der alte, vernünftige Grundsatz für Politiker, sich im Ausland nicht zur deutschen Innenpolitik zu äußern, mag heute schwieriger zu beherzigen sein als zu Zeiten Kohls oder Schröders. Doch dass Baerbock die Öffentlichkeit und ihre Partei via CNN über ihren Verzicht informiert, ist schlichtweg ein Verstoß gegen die politischen Sitten. Verspürt Baerbock dabei gar kein Störgefühl? Man muss nicht in der Protokollabteilung des Auswärtigen Amtes arbeiten, um sich zu ärgern.
In der Sache ist Baerbocks Verzicht das Eingeständnis eines Scheiterns. Der Plan der erfolglosen Grünen-Kanzlerkandidatin von 2021 war es, im Auswärtigen Amt derart zu glänzen, dass sie sich ein zweites Mal um das politisch mächtigste Amt im Staate bewerben kann.
Baerbocks Außenpolitik wirkt wie aus der Zeit gefallen
Außenminister sind traditionell beliebt in Deutschland, führten in der Vergangenheit oft die Liste der populärsten Politiker an. Bei Baerbock ist das anders, trotz kluger Positionierung bei Russlands Krieg gegen die Ukraine und im Umgang mit dem zunehmend aggressiven China („Xi ist ein Diktator“).
Baerbocks feministische Außenpolitik wiederum wirkt angesichts von Kriegen und Krisen wie aus der Zeit gefallen. Daneben begegnet ihr in der Öffentlichkeit ein widerwärtiger Hass, nur weil sie eine junge erfolgreiche (grüne) Frau ist.
Von einem politischen Dream Team waren Annalena Baerbock und Robert Habeck in den vergangenen Wochen weit entfernt. Habeck trieb seine Kanzler-Ambitionen mit teils wenig Rücksichtnahme voran, hatte das grüne Establishment ohnehin auf seiner Seite. Das Plädoyer des erfolgreichsten Grünen, Winfried Kretschmann, im Mai für Habeck spricht für sich.
Ob Habeck sein Image trotz des Debakels um das Heizungsgesetz reparieren kann, ist offen. Dass die Grünen einen Kanzlerkandidaten nominieren, ist strategisch konsequent und berechtigt. 2025 könnten schon 20 Prozent für eine Kanzlerschaft reichen.
Selbst das wäre für die Grünen von heute ein weiter Weg, doch die Wähler sind flexibler und flinker denn je. Und: Mit dem möglichen SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz steht für Robert Habeck ein wirksamer Wahlhelfer bereit.
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