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Politik: Vom Reiz des Details

Von Gerd Appenzeller

Der Satz, wonach jedem Anfang ein Zauber innewohnt, klingt so verführerisch, dass man erst in der Realität merkt, wie falsch er sein kann. Der Start der von Angela Merkel geführten Koalition war ein Anfang, immerhin das erste Zusammengehen von Union und SPD seit 36 Jahren. Aber wie dieses Bündnis seine Arbeit aufnahm, war völlig unspektakulär, und von jenem Zauber, den Hermann Hesse in seinem Gedicht wohl meint, war nichts zu spüren.

Aber vielleicht ist diese Tendenz zur Versachlichung am Beginn eines Jahres voller Turbulenzen auch eher hilfreich als desillusionierend. Da muss man die zum Regierungscredo erhobene neue Bescheidenheit nicht einmal so dick auftragen, wie es Frau Merkel in ihrer Neujahrsansprache tat – unerreichbare Ziele zu setzen ist nicht unsere Art, von Versprechungen haben Sie, verehrte Bürger genug. Das verkleistert eher die Sollbruchstellen der Koalition, denn da geht es sehr wohl um weit gesteckte Ziele und Versprechungen, die fortwirken. Beides steckt in der Gesundheitspolitik, aber auch im Umweltbereich und in der Frage des „wie“ der Heilung des innerdeutschen Ost-West-Konfliktes.

Ohne die Hilfe der Bundesländer ist kein Lösungsansatz zu definieren, und in fünfen davon wird 2006 gewählt. Am 26. März sind Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt an der Reihe, am 17. September folgen die beiden rot-rot regierten Länder Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Auch die Kommunalwahlen in Hessen und Niedersachsen werden als Gradmesser der politischen Binnentemperatur herhalten müssen. Das Eigentümliche des Wechselspiels zwischen Bund und Ländern unter den Rahmenbedingungen der großen Koalition in Berlin ist aber, dass sich, wie auch immer die Landtagswahlen ausgehen werden, jeweils einer der Bundeskoalitionäre als Sieger und der andere als der Geschlagene fühlen wird.

Da können Merkel und Müntefering beide zur Kaltblütigkeit mahnen: Es wird kaum ohne Folgen für die Regierungsgeschäfte im Bund bleiben, wenn sich in fünf Ländern CDU und SPD politisch oder in der Sache attackieren, dass die Fetzen fliegen. In Baden-Württemberg zum Beispiel wird Günther Oettinger den Atomausstieg thematisieren, auf dessen Beibehaltung sich die Berliner Koalition verständigt hat. Die CDU im Südwesten polemisiert massiv dagegen, und dass Angela Merkel der Beibehaltung des rot-grünen Exitszenarios nur zähneknirschend zugestimmt hat, ist bekannt. Dazu kommt: In Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt regieren die Liberalen mit – mit denen sich sowohl Oettinger als auch Kurt Beck und Wolfgang Böhmer so gut verstehen, dass sie wenig Lust verspüren dürften, das Berliner Modell auf die Länderebene zu übertragen. Egal ob als schwarz-rote oder als rot-schwarze Variante. In Mecklenburg-Vorpommern und Berlin ist nicht einmal ein Weg erkennbar, der die CDU wieder in Regierungsnähe bringen könnte. An der Küste scheint die rot-rote Dominanz fest gefügt, in Berlin weiß die Union weder, mit was in der Sache noch mit wem an der Spitze sie gegen den alerten Klaus Wowereit antreten soll.

Nach Durchregieren sieht das alles nicht aus, eher nach dem von der Kanzlerin so geliebten Zerlegen großer Probleme in kleine, handliche Details. Das ist zwar zauberfrei, aber Hesses Gedicht hat ja auch noch zwei verheißungsvolle Schlusszeilen: „Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lahmender Gewohnheit sich entraffen.“

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