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Politik: "Vom Traum zum Albtraum": Die Wiege der Arbeiterkultur

Hätte der letzte Sachsenkönig August III, wie die Legende meint, den Revolutionären von 1918 zugerufen "Machd Eiern Dregg alleene!" - er hätte recht behalten.

Hätte der letzte Sachsenkönig August III, wie die Legende meint, den Revolutionären von 1918 zugerufen "Machd Eiern Dregg alleene!" - er hätte recht behalten. Sie konnten es ohne ihn auch nicht besser. 1923 musste der Freistaat Sachsen die Macht an einen Reichskommissar, 1933 gar an Hitlers Reichsstatthalter Mutschmann abtreten. Aus dem kurzzeitig "roten Sachsen" wurde ein braunes Sachsen.

Aber August hat nichts gerufen, sondern knapp auf den Thron verzichtet und sich auf sein Schlesisches Schloss begeben. "Auch wenn der wahrscheinlich populärste deutsche Fürst der wilhelminischen Ära einige einprägsame Aussprüche im sächsischen Zitatenschatz hinterließ, die ihm bei seiner Abdankung zugeschriebenen Worte hat er nicht nachweislich gesprochen", versichert Claus-Christian Szejnmann als jüngster Geschichtsschreiber Sachsens.

Im Herzen Deutschlands

Der gebürtige Münchner lehrt an der University of Leicester Moderne Europäische Geschichte - und dazu gehört Sachsen nun mal, auch wenn das manche bis 1989 beinahe vergessen hatten. Der englische Titel seines ersten Buches über die Nazis in Sachsen erinnert daran: Nazism in Central Germany. Genau dort liegt Sachsen seit 1990 wieder. Mit Recht zitiert Szejnmann einen "sozialdemokratischen Zeitzeugen" von 1930: "Gewiss ist Sachsen nur ein kleines Land, und seine Einwohnerzahl übertrifft kaum die der einen Stadt Groß-Berlin. Aber durch seine Lage im Herzen Deutschlands, durch die scharfe Zuspitzung der wirtschaftlichen und politischen Gegensätze innerhalb seiner Bevölkerung und durch die besondere Schulung seiner Arbeiterschaft war es berufen, für Deutschland und für das Proletariat eine besondere Rolle zu spielen."

Dieser Zeitzeuge, dessen Namen Szejnmann in eine Fußnote verbannt, war immerhin Walter Fabian, später Chefredakteur der Gewerkschaftlichen Monatshefte des DGB. Seine klassische Studie "Klassenkampf in Sachsen", deren Erstausgabe von 1930 Szejnmann zitiert, ist in der Bundesrepublik schon 1972 nachgedruckt worden - ein Zeichen, dass Sachsens Geschichte auch dort nicht ganz in Vergessenheit geraten war. Nur war es kaum möglich, der einseitigen Sicht der DDR auf diese Geschichte etwas entgegenzusetzen, weil Akten dort weitgehend unter Verschluss waren.

Szejnmann holt in seinem Buch Sachsen in die deutsche Geschichte zurück. Schließlich war das am frühesten industrialisierte Sachsen die Wiege der deutschen Arbeiterbewegung und vom Kaiserreich bis zum Ende der Weimarer Republik die Hochburg der Sozialdemokratie, in wie viele Parteien sie sich auch spalten mochte. Hier versagte man sich dem Putsch der KPD und hielt doch am "linksdemokratischen Projekt" der Novemberrevolution fest, bis der Einmarsch der Reichswehr die sächsische "Regierung der republikanischen und proletarischen Verteidigung" 1923 beendete. Hier blühten Arbeiterkultur und Lebensreform, hier malte Kokoschka, tanzte Mary Wigman, eröffnete Alexander Neill seine erste "Freie Schule", lange vor Summerhill.

Zum Dialog nicht bereit

Aber hier zerrieben sich auch Sozialisten und Bürgerliche in ihrem Gegensatz, bis die Nationalsozialisten 1930 zweitstärkste Partei im Landtag wurde und 1932 die SPD in den Reichstagswahlen sogar noch überflügelte. Szejnmann rekonstruiert diesen Weg des Freistaats Sachsen "vom Traum zum Albtraum" und kommt zu der Diagnose: "Der Demokratie in Sachsen fehlte also eine fundamentale Voraussetzung für ein reibungsloses Funktionieren: Die Bereitschaft verschiedener Gruppen in der Gesellschaft, einen Dialog einzugehen, Kompromisse zu machen, sich gegenseitig mit Respekt zu behandeln und politisch zusammenzuarbeiten." Die Sozialdemokratie in Sachsen hat das zu spät, die NSDAP zu gut, die KPD nie begriffen.

Hannes Schwenger

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