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Politik: Von der Nadel zur Glückspille

Von Rainer Woratschka Marion Caspers-Merk hätte Grund, zufrieden zu sein. Nach dem Dauer-Anstieg der Drogentoten in den vergangenen drei Jahren kann die Drogenbeauftragte der Bundesregierung erstmals wieder einen Rückgang vermelden.

Von Rainer Woratschka

Marion Caspers-Merk hätte Grund, zufrieden zu sein. Nach dem Dauer-Anstieg der Drogentoten in den vergangenen drei Jahren kann die Drogenbeauftragte der Bundesregierung erstmals wieder einen Rückgang vermelden. Im Jahr 2001 starben 9,6 Prozent weniger Menschen an ihrer Sucht als noch im Vorjahr. Und laut Bundeskriminalamt stagniert auch die Zahl derer, die als Konsumenten harter Drogen erstmals auffällig werden.

Auf 1835 Drogentote kommt die Statistik. Für die SPD-Politikerin immer noch viel zu viele. Und so stolz sie darauf ist, den „Reformstau“ der Vorgänger-Regierung angepackt und die Überlebenshilfe etwa mittels spezieller Drogenkonsumräume modernisiert zu haben: Noch immer gebe es zu wenig ambulante und wohnortnahe Therapie-Einrichtungen, sagt Caspers-Merk bei der Präsentation ihres Drogenberichts. Den 37 000 stationären Behandlungen pro Jahr stehen nur 7000 ambulante gegenüber. Und noch immer erreiche man suchtkranke und -gefährdete Menschen „insgesamt zu spät“.

Außerdem sinkt das Einstiegsalter – und je jünger die Konsumenten, desto unbedarfter ihr Umgang mit dem Stoff. „Immer mehr junge Menschen konsumieren legale und illegale Drogen in riskanter Weise“, sagt Caspers-Merk – und verweist etwa auf hochgefährliche Mixturen von Alkohol und Ecstasy. Dabei ist der Ecstasy-Konsum allein schon besorgniserregend genug. Während die Sicherstellungsmenge bei den meisten anderen Drogenarten gesunken ist, schoss sie bei der Partydroge um 180 Prozent in die Höhe. 4,5 Millionen Konsumeinheiten konfiszierte die Polizei im Jahr 2001. Auch wenn ein Gutteil davon nicht für den deutschen Markt bestimmt war: Die Zahl der erstauffälligen Glückspillen-Schlucker stieg um elf Prozent.

Erschreckend ist laut Caspers-Merk, dass bereits jeder Zwanzigste unter 24 die Droge probiert hat. In der Techno-Szene ist es schon jeder Zweite. „Die finden das cool“, sagt die Drogenbeauftragte. Eine „Risikodebatte“ finde trotz des Nachweises unumkehrbarer Hirnschäden einfach nicht statt.

Als weitere Risikogruppe gelten die Kinder Alkoholkranker – bis zu zwei Millionen Heranwachsende, an die die Drogenberater nur schwer herankommen. Einer Studie zufolge ist fast jedes dritte dieser Kinder gefährdet. Und dann die jungen Aussiedler. Mit 142 Drogentoten waren sie, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, wieder weit überrepräsentiert. Info-Kampagnen, Videos in russischer Sprache und Fortbildungen für Integrationshelfer sollen nun gegenwirken. Doch Caspers-Merk weiß, dass „erfolgreiche Integration natürlich die beste Prävention ist“.

Prävention ist das Zauberwort, die Drogenbeauftragte benutzt es immer wieder. Schwärmt von Broschüren, Internet-Infos, räumt aber auch ein, dass in Bundesländern und Kommunen die Mittel zum Teil drastisch zusammengestrichen wurden. „Wir müssen neue Finanzquellen erschließen“, sagt Caspers-Merk. Und kündigt an, dass die Vereinbarung mit der Zigarettenindustrie – sie verpflichtete sich zur Zahlung von 11,8 Millionen Euro für Nichtraucher-Programme – „stilbildend“ sein soll.

Dass das Geld für Prävention und die Rehabilitation Suchtkranker nicht in den Wind geschrieben ist, machen Zahlen von 1999 deutlich. Damals gab der Staat 870 Millionen Mark für Suchttherapie aus, 22 000 pro Behandelten. Die Frühverrentung von Suchtkranken hingegen schlägt mit fast einer Milliarde zu Buche – pro Kopf 200 000 Mark.

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