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Das beißt sich: Kanzlerin Angela Merkel besuchte lieber einen Vogelpark als den Wahlkampfabschluss der Ost-CDU.

© Georg Wendt/dpa

Wahlen in Ostdeutschland: Vorsicht, flatterhaft und bissig!

Im Osten kann sich die Wahl entscheiden: Angela Merkel ist der CDU davongeflogen, die SPD ist wieder da. Und trotz AfD entsteht eine neue Mitte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Ide

Da standen sie, ohne Mutti seelenallein: Die Anführer der Ost-CDU, allesamt Männer, beschworen am Freitag in Halle an der Saale zum Wahlkampffinale die alte Zeit. Angela Merkel, Garantin der Mehrheit, war nicht da; sie ließ sich lieber zuvor in Mecklenburg-Vorpommern mit Papageien ablichten (und von ihnen beißen).

Der CDU ist die scheidende Kanzlerin längst davongeflattert – wie der Gegend, aus der sie kommt: Ostdeutschland. Hier werden Wahlen selten gewonnen. Aber oft verloren.

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Erneut deutet sich zwischen Ostsee und Erzgebirge ein Umschwung an, der der Wahl den entscheidenden Swing geben kann. Die SPD feiert ein ungeahntes Comeback: Manuela Schwesig kämpft im Nordosten um die absolute Mehrheit, im Südosten schließt man zur schwachen CDU auf; das gab es seit der Hartz-IV-Reform nicht.

Woran das auch liegt: Im Osten gibt es weniger feste Milieus, eine weniger gefestigte Bürgergesellschaft. Das Leben in Umbrüchen ist zum Dauerzustand geworden, zuletzt in der Pandemie. Nur wer Brüche versteht, hat hier eine Chance verstanden zu werden. Und flüchtige Stimmen einzufangen.

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Gleichzeitig fasert der Rand, gerade im Süden des Ostens, unversöhnlich aus. Die AfD beherrscht viele Diskurse mit extremen Parolen. Trotz und auch Bequemlichkeit werden bedient; auch eine in der DDR zum Selbstschutz antrainierte Staatsferne, die sich heute in grassierender Impfskepsis zeigt. Selbst wenn es nicht gesund ist: Viele haben sich abgewendet. Und wollen das der weiter westdeutsch dominierten Führungselite des Landes zeigen.

Ein höherer Mindestlohn hilft vor allem ostdeutschen Frauen

Die Linke wird da als Ventil überflüssig, sie ist etabliert und muss zugleich um drei sichere Direktmandate bangen. Auch weil die SPD das Soziale wiederentdeckt: Der von Olaf Scholz versprochene Mindestlohn von zwölf Euro würde gerade ostdeutschen Frauen helfen. Für die Grünen bleibt dagegen abseits der Studentenstädte nicht viel zu holen. Zu tief wurzelt die Angst vorm nächsten Umbruch. Auch wenn er klimatisch kommen muss.

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Der Streit in vielen Familien dreht sich um was anderes: das Impfen. Er legt eine Skepsis gegen alles frei, was der Staat organisiert. Die lahme Impfkampagne zeigt die Angst der Politik vor den Menschen. Und die zögerliche Abgrenzung gegen Rechts macht klar, wie wenig sich die CDU selbst zutraut: Rechtsaußen-Westimport Hans-Georg Maaßen darf in Thüringen freidrehen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer fand die klare Kante gegen die AfD zu spät. In Sachsen-Anhalt stürzte Reiner Haseloff als Regierungschef fast über den rechtslastigen Teil seiner Fraktion. Wer zu viele Leerstellen hinterlässt, kann sie später nicht mehr füllen.

Die Ost-CDU wollte Söder - das verhinderte die Bonner Republik in Berlin

Und Armin Laschet? Auch beim Wahlkampffinale der Ost-CDU blieb er eine Leerstelle. Im Osten wollten sie sowieso lieber Markus Söder. Aber das verhinderte die alte Bonner Republik in Berlin.

Die gute Nachricht: Unter der Oberfläche der Brüche bildet sich eine politisch volatile, aber halbwegs stabile Mitte Ost. Befördert wird sie durch Jüngere, die zurückkehren in ihre Heimat. Nicht nur in Leipzig und Rostock wächst eine Gesellschaft mit Gestaltenden.

Das darf bei möglichen AfD-Triumphen nicht untergehen: Der Osten ist nicht rot, nicht braun. Es war kein Stammland der SPD mehr, ist wohl keines mehr der CDU. Dafür eine empfindsame Gegend im Dauer-Umbruch. Dass es eine von ihnen zur Kanzlerin brachte, hat die Leute so stolz gemacht wie verwundert. Der Osten ist bunt, flatterhaft, zuweilen bissig. Wie die Papageien von Angela Merkel.

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