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Luiz Inacio Lula da Silva von der Arbeiterpartei bei seiner ersten Rede nach seinem Sieg über den bisherigen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro von der Liberalen Partei.

© Foto: dpa/Lincon Zarbietti

Update

Brasilien steht vor Machtwechsel: Lula gewinnt Präsidentschaftswahl gegen Bolsonaro

Der Linke entscheidet die Wahl knapp für sich und ruft zur Einheit des gespaltenen Landes auf. Der bisherige Amtsinhaber Bolsonaro hat seine Niederlage bisher noch nicht eingeräumt.

| Update:

Nach einem erbittert geführten Wahlkampf hat der linke Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die Präsidentenwahl in Brasilien knapp gewonnen. Der frühere Staatschef kam in der Stichwahl auf 50,90 Prozent der Stimmen, wie das Wahlamt in Brasília in der Nacht zum Montag nach Auszählung der Stimmen bekanntgab. Der rechte Amtsinhaber Jair Bolsonaro erhielt demnach 49,10 Prozent.

Lula kündigte an, ein extrem gespaltenes Brasilien versöhnen zu wollen. „Ich werde für 215 Millionen Brasilianer regieren“, sagte er in seiner ersten Rede nach der Wahl in São Paulo. „Die Brasilianer wollen nicht mehr kämpfen“, sagte der 77-Jährige. „Niemand will in einem gespaltenen Land leben, das sich in einem Zustand des ständigen Krieges befindet.“ Dann fügte er hinzu: „Es gibt keine zwei Brasiliens. Wir sind ein Land, ein Volk, eine große Nation.“ Nun sei der Moment gekommen, den Frieden wieder herzustellen.

Lula hatte auch die erste Runde am 2. Oktober gewonnen - allerdings deutlich knapper, als nach den Umfragen erwartet. Danach galt das Rennen wieder als völlig offen. Auf Twitter veröffentlichte Lula am Sonntag ein Bild der brasilianischen Flagge mit einer Hand. Darüber stand „Demokratie.“ Tausende Anhänger des Kandidaten der Arbeiterpartei (PT) feierten Lulas Sieg auf der Prachtstraße Avenida Paulista in der Millionenmetropole São Paulo.

Bolsonaro schweigt bislang

Bolsonaro äußerte sich auch zwei Stunden nach Lulas Wahlsieg noch nicht - auch nicht in den Online-Netzwerken, wo er für gewöhnlich sehr aktiv ist. Alle Augen richten sich nun auf ihn - viele Brasilianer befürchten, dass Bolsonaro ähnlich wie der abgewählte US-Präsident Trump eine Wahlniederlage nicht akzeptieren wird. Allerdings erkannten Verbündete des Amtsinhabers Lulas Wahlsieg an.

Seit der Lockerung der Waffengesetze in seiner Amtszeit haben viele Unterstützer Bolsonaros ordentlich aufgerüstet. Erst am Samstag verfolgte eine Abgeordnete von Bolsonaros Liberalen Partei (PL) einen Mann nach einem Streit mit vorgehaltener Waffe. Einige Anhänger des Amtsinhabers forderten auch unverhohlen einen Militärputsch. Experten sehen dafür in Gesellschaft und den Streitkräften allerdings keine ausreichende Unterstützung.

Mit Bolsonaros Niederlage scheitert ein brasilianischer Präsident das erste Mal an der Wiederwahl. „In jedem Land der Welt hätte mich der unterlegene Kandidat angerufen, um seine Niederlage eingestehen“, sagte Lula vor seinen Anhängern. „Er hat mich immer noch nicht angerufen. Ich weiß nicht, ob er anrufen wird und ob er es eingestehen wird.“ Er führte fort: „Ich wäre gern nur glücklich, aber ich bin zur Hälfte glücklich, zur Hälfte besorgt.“

Luiz Inacio Lula da Silva (l) und Jair Bolsonaro konkurrierten um das Präsidentenamt.
Luiz Inacio Lula da Silva (l) und Jair Bolsonaro konkurrierten um das Präsidentenamt.

© Foto: dpa/Marcelo Chello

Der frühere Gewerkschafter Lula hatte das mit mehr als 210 Millionen Einwohnern größte Land in Lateinamerika bereits von Anfang 2003 bis Ende 2010 regiert. Er ist der erste demokratisch gewählte Präsident Brasiliens, der in eine dritte Amtszeit geht. Außer dem Staatschef wurden am Sonntag auch Gouverneure in einem Dutzend Bundesstaaten gewählt.

In seiner nun dritten Amtszeit ist Lula mit einer angeschlagenen Wirtschaft, engen Haushaltsvorgaben und einer zunehmend einflussreicheren Opposition konfrontiert. Bolsonaros Verbündete bilden den größten Block im Kongress, nachdem die Parlamentswahlen in diesem Monat die Stärke seiner konservativen Koalition untermauert haben.

Die Präsidentenwahl hat die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas extrem gespalten. „Ich bin zuversichtlich, dass wir einen Ausweg finden werden, damit dieses Land wieder demokratisch und harmonisch leben kann“, sagte Lula in seiner Rede. „Wir können sogar den Frieden zwischen denen, deren Meinungen auseinander gehen, wiederherstellen.“

Steinmeier will Lula bald treffen – Biden lobt „freie, faire und glaubwürdige Wahlen“

Der französische Präsident Emmanuel Macron gratulierte Lula umgehend zur Wahl. „Es wird ein neues Kapitel in der Geschichte Brasiliens aufgeschlagen“, schrieb er auf Twitter. „Wir werden unsere Kräfte bündeln, um die vielen gemeinsamen Herausforderungen zu bewältigen und das Band der Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern zu erneuern.“

Macron war in den vergangenen Jahren mit dem brasilianischen Präsidenten Bolsonaro vor allem in der internationalen Umweltpolitik heftig aneinandergeraten. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gratulierten Lula zum Sieg bei der Präsidentenwahl. „Brasilien ist für Deutschland ein wichtiger strategischer Partner und ein Schlüsselakteur, um die globalen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen“, erklärte Steinmeier am Montag in Berlin. Er freue sich „auch persönlich“, die Zusammenarbeit fortzusetzen.

Scholz gratulierte bei Twitter. Er freue sich auf eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit insbesondere in Fragen von Handel und Klimaschutz, erklärte er. In seiner Gratulation schrieb Steinmeier weiter, Deutschland stehe bereit, „die strategische Partnerschaft zwischen unseren Ländern zum Wohle unserer beiden Gesellschaften und der Zukunft unseres Planeten mit Leben zu füllen“. Zudem regte er ein Treffen mit Lula an. „Mit einer baldigen persönlichen Begegnung könnten wir dem deutsch-brasilianischen Verhältnis neue Impulse geben und zeigen, dass Demokratien in Zeiten verschärfter geopolitischer Konfrontation zusammenstehen“, schrieb der Bundespräsident. 

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„Ich gratuliere Luiz Inácio Lula da Silva zu seiner Wahl zum nächsten Präsidenten nach freien, fairen und glaubwürdigen Wahlen“, erklärte US-Präsident Joe Biden. Er freue sich auf die Zusammenarbeit zwischen den USA und Brasilien.

„Brasilien ist zurück“

Der ohnehin erbittert geführte Wahlkampf war im Endspurt immer schmutziger geworden. Die Brasilianer wurden vor allem in sozialen Medien und Whatsapp-Gruppen von einer Flut von Falschinformationen überschwemmt. Die Fernsehdebatten, in denen Lula und Bolsonaro sich gegenseitig mit Vorwürfen überzogen, wirkten dagegen geradezu gesittet.

Viele Anhänger des 77-Jährigen verbinden Lula mit den goldenen Zeiten Brasiliens, als die Wirtschaft aufgrund der hohen Rohstoffpreise boomte und die Regierung mit Hilfe von Sozialprogrammen Millionen Menschen aus der bittersten Armut holte. Für seine Gegner hingegen ist Lula verantwortlich für Korruption und Vetternwirtschaft.

2018 war Lula selbst wegen Korruption und Geldwäsche zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden und verbrachte 580 Tage im Gefängnis. Im vergangenen Jahr hob ein Richter am Obersten Gerichtshof das Urteil aus formalen Gründen auf. Lula erhielt seine politischen Rechte zurück und kehrte bald auch wieder auf die politische Bühne zurück.

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Im Ausland wird mit besonderer Aufmerksamkeit der Kampf gegen die Abholzung des Urwaldes im Amazonas-Becken verfolgt. Bolsonaro hatte den Umweltschutz abgeschwächt. Lula rief in seiner Rede am Sonntagabend zur internationalen Zusammenarbeit zum Schutz des Amazonas-Regenwaldes und für einen gerechteren Welthandel auf.

Ein Thema des Wahlkampfes im Inland war die Abwehr drohender Hungersnöte. Rapide steigende Lebenshaltungskosten und die Folgen der Coronavirus-Pandemie gefährden die Versorgung mit Nahrungsmitteln in einem Ausmaß, das vor einem Jahrzehnt unvorstellbar erschien. Eine Rolle spielte auch der Umgang mit der Pandemie. Wie sein politisches Vorbild Trump verharmloste Bolsonaro das Virus und sprach von einer „kleinen Erkältung“.

Die Unterstützer von Bolsonaro sehen ihren Staatschef als Verteidiger traditioneller Familienwerte und wirtschaftlicher Freiheit und als Bollwerk gegen den angeblich drohenden Kommunismus. Allerdings stieß er mit seinen zum Teil vulgären Ausfällen gegen Frauen, Homosexuelle und Indigene auch viele Menschen vor den Kopf. Durch seine Blockade beim Klimaschutz, seine eigenwillige Corona-Politik und seine Angriffe auf demokratische Institutionen wie den obersten Gerichtshof isolierte er Brasilien auf der Weltbühne immer mehr. „Brasilien ist zurück“, sagte Lula nun. Es sei zu groß, um zum Paria der Welt herabgestuft zu werden.

Die Wahl in Brasilien hat auch international eine wichtige Bedeutung. Als riesiger Kohlenstoffspeicher spielt das Amazonasgebiet im Kampf gegen den weltweiten Klimawandel eine wichtige Rolle. Zudem ist Brasilien mit seinen enormen natürlichen Ressourcen, dem hohen Anteil an grüner Energie und der großen Agrarwirtschaft ein potenziell wichtiger Handelspartner. (dpa, AFP, Reuters)

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