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Politik: Wahl ohne Wähler

Beobachter: In Tschetschenien gab nur jeder Vierte seine Stimme ab

Ahmad Kadyrow hat es eilig. Sein Regierungsprogramm gab er noch vor der Amtseinführung an diesem Sonntag bekannt. Kernforderung: die Wiedervereinigung Tschetscheniens mit der Nachbarrepublik Inguschetien. Im Zuge der geplanten Verwaltungsreform hatte Russlands Präsident Wladimir Putin schon mehrfach laut über Fusionen kleinerer Gebietseinheiten nachgedacht. Doch im unruhigen Nordkaukasus könnte eine Veränderung der Grenzen letztlich zu einem Bürgerkrieg führen. Stalins willkürliche Grenzziehungen, kollektive Deportationen im Zweiten Weltkrieg und anschließende Rücksiedlungen haben in der Region zu zahllosen gegenseitigen Gebietsansprüchen geführt. Präsident des neuen Teilstaats will Kadyrow im Übrigen selbst werden.

Die Mehrheit der Tschetschenen fragt sich indes, ob Kadyrow zu solchen Erklärungen überhaupt legitimiert ist. Offiziell lag die Wahlbeteiligung am vorvergangenen Sonntag zwar bei 87,5 Prozent, und Kadyrow bekam über 80 Prozent aller Stimmen. Doch unabhängige Beobachter haben jetzt andere Zahlen vorgelegt. Die Wahlbeteiligung, so einer der besten Kenner der Republik, der Korrespondent des russischen Dienstes von US-Auslandssender Radio Liberty, Andrej Babitzki, sei „außerordentlich niedrig“ gewesen. Babitzki bewegte sich am Wahlsonntag abseits des offiziellen Trosses von Journalisten. Im Kreiszentrum Schali, wo er in zwei Wahllokalen je eine Stunde verbrachte, sagt er, hätten in diesem Zeitraum „ganze zwei Figuren“ ihre Stimme abgegeben: Frauen, die in der örtlichen Verwaltung arbeiten und, von ihm interviewt, einen „offenbar auswendig gelernten Text herunterleierten“. Andere Beobachter bestätigten diesen Eindruck. Die reale Wahlbeteiligung schätzen sie auf zwischen 17 und 25 Prozent.

Das entspräche in etwa dem Kontingent, das indirekt zum Urnengang gezwungen war: neben den 30 000 russischen Soldaten und den 10 000 tschetschenischen Polizisten auch Beamte und Angestellte der moskautreuen Verwaltung. Nach Ansicht Babitzkis hat Moskau mit einer derart geringen Wahlbeteiligung nicht gerechnet. Das Ganze sei „eine verheerende Niederlage für die Tschetschenienpolitik des Kremls“.

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