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Mythos Ruhrgebiet. Essen wird dieses Jahr als europäische Kulturhauptstadt gefeiert. Als einer der Veranstaltungsorte dient die – hier bunt beleuchtete – Zeche Zollverein. Bis 1986 wurde dort noch Kohle abgebaut.

© dpa

NRW-Wahl: Im Westen viel Neues

Rauchende Schornsteine waren gestern. Heute setzt das Land auf Universitäten und ein grünes Image

Die Vergangenheit lebt in Bochum fort. Beim Spazieren in der Glückaufstraße oder der Gußstahlstraße, im Stadtteil Stahlhausen oder in einem Krankenhaus mit dem Namen Bergmannsheil. Auch im benachbarten Essen rühmt man sich seiner Industriegeschichte. Etwa in der Zeche Zollverein. Mehr als 100 Jahre wurde dort unter Tage Steinkohle abgebaut, heute flanieren in der Zeche die Gäste der Kulturhauptstadt 2010. Sie lauschen Konzerten und verfolgen Theaterstücke.

In Essen soll in diesem Jahr der Mythos Ruhrgebiet kultiviert werden, die kreative Szene präsentiert sich vor historischer Kulisse aus Eisen und Stahl. Doch der Strukturwandel im Ruhrgebiet ist noch kein abgeschlossenes Kapitel. Viele sagen, er dauert weiterhin an. Erst im Jahr 2018 laufen endgültig die milliardenschweren Subventionen für die Steinkohle aus. Noch heute gibt es in Nordrhein-Westfalen mehr Arbeitslose als im westdeutschen Durchschnitt – auch das ein großindustrielles Erbe.

Das Bundesland an Rhein und Ruhr, in dem am kommenden Sonntag ein neuer Landtag gewählt wird, ist das bevölkerungsreichste der Republik, vielleicht das politisch bedeutsamste, mit Sicherheit aber das wirtschaftsstärkste. Im Jahr 2009 erarbeiteten die Menschen in NRW ein Bruttoinlandsprodukt von 521 Milliarden Euro. Das liegt etwa auf dem Niveau der Niederlande und übersteigt die Ertragskraft von Griechenland um mehr als das Doppelte.

Was die Wirtschaft im Westen seit Jahrzehnten ausmacht, ist der enorme strukturelle Wandel, die ständige Bewegung. Etwa in Bochum. Auf dem Gelände der stillgelegten Zeche Dannenberg baut Opel seit mehr als 40 Jahren Autos. In den vergangenen Monaten drohte die Werksschließung, das scheint nun erst einmal abgewendet. Inzwischen beschäftigen die vier Bochumer Universitäten mehr Menschen als die Industrie, die landesweit an Bedeutung verliert und um ihr Image fürchtet. „Viele denken bei Nordrhein-Westfalen zu Unrecht an Kohle und Stahl, an Rauchschwaden und Umweltverschmutzung“, sagt Stephan Wimmers, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) in NRW. „Die Zeit der qualmenden Schlote ist schon lange vorbei.“

Die IHK weiß um das gestiegene Bedürfnis nach nachhaltigem Wirtschaften und sie sorgt sich um künftige Projekte. Bereits seit Jahren scheitert der Bau eines neuen Kohlekraftwerks in Datteln bei Recklinghausen am Veto von Umweltschützern. Mehrere Gerichte haben deren Einwände bestätigt. Auch in Krefeld und Düsseldorf stehen Kraftwerke auf der Kippe. Wimmers kritisiert den Widerstand weniger und wirbt dagegen für mehr gesellschaftliche Akzeptanz. „Eine Wissensgesellschaft ohne industrielle Produktion ist undenkbar.“

Doch scheinbar trifft auch das Gegenteil zu. Die Wissenschaft hat in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen, für die Industrie und die Wirtschaft insgesamt. Nordrhein-Westfalen verfügt inzwischen über Europas dichtestes Hochschulnetz mit insgesamt 68 staatlichen und privaten Einrichtungen. In ihrem Dunstkreis haben sich in vielen Städten, etwa in Dortmund oder in Bochum, immer mehr Technologieparks mit Unternehmen angesiedelt.

Viele Kleine statt wenige Große. Für Ernst Schmachtenberg, Rektor der renommierten technischen Universität in Aachen, lautet so ein Erfolgsrezept für den Strukturwandel: „Inzwischen stammen viele Innovationen aus dem Mittelstand. Das liegt auch an der breiten Forschungslandschaft.“ Aber auch die großen Dax-Konzerne setzen auf die Nähe zu den Universitäten. „Die Industrie muss in immer kürzeren Zyklen auf die Erträge schauen, deshalb kooperiert sie bei den langfristigen Ansätzen immer stärker mit den Hochschulen“, erklärt Schmachtenberg. Der RWTH Aachen kommt das besonders zugute. Rund 40 Millionen Euro steckt Eon seit 2007 in ein eigenes Institut auf dem Aachener Campus. Damit sollen fünf Lehrstühle die Energiewelt von Morgen erforschen.

Auch an anderer Stelle will Nordrhein- Westfalen den Wandel in die Zukunft anführen. Vergleichbar mit Masdar City, der geplanten CO2-freien Stadt in der arabischen Wüste, wird bis Oktober dieses Jahres die Ökostadt im Kohlenpott gesucht. „Innovation City Ruhr“ nennt sich das Vorhaben, das die Landesregierung gemeinsam mit 20 namhaften Unternehmen vorantreibt. Dabei soll eine Stadt mit etwa 50 000 Einwohnern zum Vorzeigeobjekt umgebaut werden. Das Ziel: Bis zum Jahr 2050 sollen durch die Wärmedämmung von Häusern, durch Elektroautos, Windräder und Solaranlagen 50 Prozent CO2 eingespart werden. 2,5 Milliarden Euro soll das kosten. Den größten Teil davon werden die Unternehmen tragen, die mit dem künftigen Image der Ökostadt und weltweiten Folgeaufträgen kalkulieren.

Doch noch lebt die Region nicht in dieser grün schimmernden Zukunft. „Das Ruhrgebiet hat immer noch große Anpassungsprobleme an den Strukturwandel“, sagt Uwe Neumann, Regionalforscher am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Das zeigt sich an der hohen Arbeitslosigkeit – denn auch die Art der Arbeit hat sich über die Jahre gewandelt. Es gibt weniger einfache Tätigkeiten und mehr kurzzeitige Verträge.

Von der Ausbildung bis zur Rente in einem Unternehmen zu bleiben – dieses Modell hat weitgehend ausgedient. Viele junge Menschen haben deshalb über Jahre hinweg das Ruhrgebiet verlassen. Neumann zufolge ist dieser Trend inzwischen gestoppt. Aber er hat bewirkt, dass die Region in einem anderen Sinn zukunftsweisend ist. „Das Ruhrgebiet ist heute schon so stark gealtert wie andere Regionen erst in 20 Jahren“, sagt Neumann.

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