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Hodas Mustafa (links) mit ihrer Tochter Fatma, Suada Abdel Gawad und Heba Youssrey in der Warteschlange vor der Bahaia-Schule im Stadttteil Sayyida Zeinab.

© Katharina Eglau

Wahltag verläuft friedlich: Ägypter stimmen über neue Verfassung ab

Seit drei Wochen lähmt das Finale um das postrevolutionäre Grundgesetz das Land. Am Samstag hat nun das ägyptische Volk das Wort. Die Abstimmung über die neue Verfassung verläuft zwar friedlich. Doch die Spaltung des Landes bleibt offensichtlich.

Aus vielen Läden dröhnen Fernseher mit Korangesängen, Händler bieten billiges Plastikzeug feil, jetzt im Winter auch synthetische Wolldecken in schrillen Farbmustern. Vor einer Metzgerei warten zwei Kamele, eine Kuh und drei Dutzend Schafe auf ihren Schlachter. Und mitten im Gewühl aus Gassen und Menschen thront die alte Moschee, jedes Jahr am Geburtstag des Propheten Mohammed Zentrum eines rauschenden Heiligenfestes mit Gauklern, Feuerschluckern und Sufitänzern. In Kairos Stadtteil Sayyida Zeinab wohnen einfache Leute, alle hier sind fromme Muslime. Und trotzdem ist die Abstimmung über die neue Verfassung alles andere als ein Triumphlauf für Präsident Mohammed Mursi und seine Muslimbrüder. Schon seit den frühen Morgenstunden bildeten sich vor der Bahaia-Schule am Bur Said Boulevard lange Schlangen, rechts die Männer, links die Frauen. Rund drei Stunden müssen die Leute auf dem Bürgersteig ausharren, bis die Soldaten sie in das Innere des beige-weißen Schulkastens vorlassen, wo in zwei Klassenzimmern die Wahlurnen stehen. Draußen vor der Tür sind die Meinungen so geteilt wie im ganzen Land. Viele wollen mit Ja stimmen, die Zahl der Nein-Sager aber ist gleichfalls beträchtlich. Eine ist Heba Youssrey, die Verwaltungswissenschaften studiert hat und seitdem arbeitslos ist.

Werde diese Verfassung verabschiedet, gebe es noch mehr Unruhe, meint sie. Besser wäre es, noch einmal zu beginnen und alles sauber durchzuziehen. Suada Abdel Gawad, eine resolute Erscheinung mit kariertem Jackett, sieht es genau andersherum. „Wir müssen endlich zu unserem Rhythmus zurückfinden, als Nation und jeder für sich“, sagt sie. Darum votiert sie mit Ja, genauso wie die voll verschleierte Hoda Mustafa, die zusammen mit Tochter Fatma gekommen ist. Ihr Mann wurde unter Hosni Mubarak verhaftet und ins Gefängnis geworfen. „Wir haben lange Zeit in Angst und Schrecken gelebt“, sagt sie. Das werde künftig nicht mehr möglich sein - dank der neuen Verfassung, davon sind Mutter und Tochter überzeugt.

Drei Wochen lähmt das Finale um das post-revolutionäre Grundgesetz nun schon das Land, auch am Vorabend des Wahltages kam es in Alexandria wieder zu schweren Ausschreitungen mit Verletzten. Der Wahltag selbst dagegen blieb weitgehend ruhig, auch wenn Aktivisten von zahlreichen Manipulationen berichteten. Erste Ergebnisse soll es am Sonntag geben. Derweil campieren auf dem Tahrir-Platz die Verfassungsgegner unverdrossen weiter. Die Stimmung in den Zelten schwankt zwischen Resignation und trotziger Zuversicht. An ein Scheitern des Referendums glaubt niemand, aber „wir haben gezeigt, dass wir sehr viele sind“, sagt Georgeus Basily, ein koptischer Christ, der mit nein gestimmt hat. Examen hat er in landwirtschaftlicher Genetik gemacht, seit Jahren schlägt er sich als Kassierer an Tankstellen und Supermärkten durch. Und er ist überzeugt, dass nun bald die ersten Verhaftungswellen gegen die Opposition rollen werden. Sein Zeltnachbar Abdel al-Rafah trägt einen dichten weißen Bart plus Häkelkappe und könnte ohne weiteres als Salafist durchgehen – wären da nicht seine Ansichten und der silberne Ring mit einem Rubin an seinem Finger. „Die Muslimbrüder haben Koran und Islam für sich okkupiert“, sagt der 57-Jährige, der einem Sufiorden angehört und sich der Wahl verweigert. „In 24 Stunden das Grundgesetz eines Landes durchzupauken, das macht man einfach nicht.“

Vor der Bahaia-Schule in Sayyida Zeinab hat sich derweil Ahmed al-Kader auf einem abgewetzten Klapphocker bequem gemacht, der 56-Jährige hat Kniebeschwerden und kann nicht mehr so lange stehen. Auf 50-50 schätzt er die Chancen, dass die Verfassung beim Volk durchkommt. Wie er selbst denkt, will er nicht sagen. „Mir ist ganz egal, was in der Verfassung steht“, stößt er nach kurzem Schweigen hervor. „Hauptsache dieser Trubel im Land hört endlich auf.“

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