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Politik: Was der Nachbar schafft

TÜRKEI IN DIE EU?

Von Gerd Appenzeller

Vor einer Woche hat die CDU-Vorsitzende Angela Merkel der Türkei etwas angeboten, was sie „privilegierte Partnerschaft“ nannte. Man kann dies als hübsche Umschreibung eines durchsichtigen Tricks bezeichnen. Es ist etwa so, als wenn man jemandem erst verspricht, dass er sich am Hausbesitz beteiligen kann, ihm hinterher aber nur ein Besuchsrecht einräumt. Morgen nun kommt Gerhard Schröder in die Türkei. Was wird er wohl versprechen?

Nichts, war aus dem Kanzleramt zu hören. Aber der deutsche Regierungschef will signalisieren, dass die Dinge ihren Gang gehen sollen. Das heißt: Wenn die EU zum Jahresende den Eindruck gewinnt, dass die Türkei die politischen Kriterien in Sachen Menschenrechte, Demokratisierung und Minderheitenschutz erfüllt, können die Beitrittsgespräche beginnen. Das wäre dann keine privilegierte, aber auch keine diskriminierende Behandlung. Die Europäische Union würde sich lediglich an das von ihr selbst vorgeschlagene Verfahren halten.

Aber ist Frau Merkel mit ihrem Standpunkt nicht viel näher bei der Einschätzung der Mehrheit der Deutschen in Sachen EU-Beitritt der Türkei? Und ist die Argumentation des Kanzlers nicht vielmehr durch Parteitaktik als durch deutsche und europäische Interessen bestimmt? Zumindest wird dies eine Rolle spielen, auch wenn der Noch- SPD-Chef das bestreiten würde. In der Gruppe der türkischstämmigen Deutschen genießen die Sozialdemokraten deutlich mehr Sympathien als die CDU/CSU. Aber Schröder wird auch die Gegenrechnung aufmachen lassen – wie viele Wähler deutscher Herkunft er verschrecken würde mit einer unreflektierten Befürwortung des türkischen EU-Beitritts. Denn dass das Thema bei der Europawahl im Juni eine Rolle spielen wird, ist sicher – und richtig. Keiner hat das Recht, Sachfragen, die die Bürger bewegen, in einem Wahlkampf einfach als obsolet zu erklären. Und ob die Deutschen die Türkei in der EU haben wollen, wird ohnedies nicht so sehr durch das Reformtempo zwischen Bosporus und Anatolien entschieden als vielmehr durch die Akzeptanz der hier lebenden Türken.

Die aber werden sich vermutlich noch mehr vom deutschen Alltag abschotten als bisher, wenn man ihrem Land die Beitrittsperspektive nimmt. Eine Perspektive aber ist Ausblick auf die Zukunft und nicht Zusicherung eines sofort eintretenden Ereignisses. Wir reden über zehn oder 15 Jahre. In diesen Zeiträumen aber haben sich auch die gesellschaftlichen Vorstellungen in früheren Beitrittsländern wie Spanien, Portugal und Griechenland unter dem Eindruck wachsenden Wohlstandes und der Europäisierung völlig verändert – zum Beispiel, was die Emanzipation der Frauen, den Einfluss der Religion auf das tägliche Leben oder den Umgang mit Minderheiten betrifft. Ohnedies wird schon heute unsere Vorstellung von der Türkei durch das Auftreten der sehr ländlich geprägten Zuwanderer geprägt und viel weniger durch die tatsächlichen Zustände in der Türkei, die wir als Urlauber gerne genießen.

Die nun denkbare Einigung im Zypernkonflikt ist nur das letzte Beispiel für den Wandel in einem ganz auf Europa setzenden Land, das nicht „weit hinten“ liegt, sondern in unserer Nachbarschaft.

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