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Politik: Was Eltern wollen

Im Kitastreit wird viel über Geld und die Rolle der Frau diskutiert – den Familien aber geht es vor allem um die Qualität der Kinderbetreuung

Um deutsche Kinderzimmer tobt ein Glaubenskrieg – seit Monaten schon. Aber er hat auch dazu geführt, dass Deutschlands Eltern jetzt sehr wach sind, ja aufgerüttelt von der Heftigkeit der Debatte. Die Eltern haben vor allem ein Anliegen: Sie wollen sich selbst aus der Isolation und der einseitigen Debatte befreien. Im Krippenstreit, den Familienministerin Ursula von der Leyen begonnen hat, wird immer wieder vor allem nach der Rolle der Mutter gefragt. Wie gut erzieht sie? Ist es gut, dass sie arbeitet und die Kinder in der Krippe sind? Die Eltern fragen anders, ihre Frage lautet: Was macht eigentlich die Gesellschaft, damit Eltern gut für ihre Kinder sorgen und sie aufs Leben vorbereiten können?

Es ist nicht anders zu erwarten, als dass der Forderungskatalog der Eltern an die Gesellschaft so vielfältig ist, wie das Leben selbst. Wie man in dieser Ausgabe auch an den vielen Antworten von Eltern und Großeltern sehen kann. Neben Eltern, die ihre Kinder – zum Teil bis zum Schuleintritt und darüber hinaus – aus Überzeugung zu Hause erziehen und betreuen wollen, gibt es diejenigen, die rasch nach der Geburt der Kleinen wieder arbeiten wollen (oder müssen). Dazwischen bietet die Realität etliche Spielarten, das Wohl des Kindes mit den Erfordernissen des Berufslebens in Einklang zu bringen.

Und es lohnt sich, diese Spielarten genau anzusehen: Wer ins Land hineinhört, dem wird rasch bewusst, dass es keineswegs nur ein paar alte Männer und Frauen mit fester katholischer Bindung sind, die Mütter von Kleinkindern auch in diesen modernen Zeiten nur zu Hause beim Nachwuchs sehen möchten. Innere Überzeugung („Es ist das Beste für die Kinder“) wird dabei nicht selten begleitet vom Erwartungshorizont des persönlichen Lebensumfeldes und traditionellen Erfahrungen. Gerade in westdeutschen Kleinstädten und ländlichen Regionen gehört es zum guten Ton, den Nachbarn zu beweisen, dass „man es sich leisten kann“, jahrelang von einem Einkommen zu leben. Schneller beruflicher Wiedereinstieg nach der Geburt würde zur Ausgrenzung führen. „Krippen sind was für arme und asoziale Familien.“ Das ist ein Satz, den auch heute noch hört, wer in den kleinbürgerlichen Reihenhaussiedlungen in Nordrhein-Westfalen mit Müttern über deren Erfahrungen spricht. Und man muss sie ernst nehmen, wenn sie erwarten, dass man ihre Träume nach Mütter-Gehältern vom Staat umsetzt.

Es ist mitnichten ein rein westdeutsches Phänomen. Thüringens Kinderbetreuungseinrichtungen registrieren seit längerem, dass sich auch die ostdeutschen Mütter – obwohl krippenerfahren aus Tradition – neuerdings häufiger für die Zuhause-Erziehung entscheiden, seit das Land ihnen ein längeres Elterngeld als Alternative zur Krippenbetreuung anbietet. Der Berliner Familiensoziologe Hans Bertram, einer der besten Experten zum Thema in Deutschland, rät beim Blick auf die heftige Debatte um Familienbilder und die richtigen Entscheidungen in der Familienpolitik ohnehin zu Gelassenheit. Mit Blick auf die Geschichte sagt der Professor an der Humboldt-Universität, es brauche immer eine Generation, bis sich ein neues Familienbild durchgesetzt habe. Das komme dann aber auch mit Macht.

Wie sehr sich die Vorstellungen von Rollenbildern in der Familie allerdings ändern, zeigen Meinungsumfragen. Danach steigt sogar in einem kurzen Zeitraum von nur fünf Jahren die Zahl derjenigen, die einer Frau mit kleinen Kindern raten würden, nach der Geburt den eigenen Beruf weiter auszuüben, wenn er ihr Spaß macht. Wie das Institut für Demoskopie Allensbach herausfand, waren 2002 noch 21 Prozent der Befragten der Meinung, sie sollte aus dem Beruf ausscheiden. 2007 waren es 14 Prozent.

Auffällig ist die Abhängigkeit der Ansichten von der eigenen Lebenserfahrung: Vor allem ältere Menschen sind der Ansicht, Mütter kleiner Kinder sollten auf eigene Berufstätigkeit verzichten und zu Hause bleiben. Etwas weniger als ein Drittel der Bevölkerung meint, dass ein Ausbau der Betreuungseinrichtungen nicht notwendig sei, dass Kinder unter drei Jahren grundsätzlich von ihren Müttern betreut werden sollten. Die Einstellung wird überdurchschnittlich von Menschen vertreten, die älter als 60 Jahre sind, unterdurchschnittlich von solchen, die unter dreißig sind. Damit scheint es fast unausweichlich, dass die Zahl derjenigen Deutschen in den kommenden Jahren noch steigen wird, die berufstätige Mütter verteidigen und Kinderbetreuung durch spezialisierte Kräfte als richtig und notwendig ansehen.

Allerdings glaubt eine Mehrheit der Befragten laut Allensbach, dass Mütter kleinerer Kinder eine klare Priorität zugunsten der Betreuung der eigenen Kinder setzen und im Beruf deshalb zumindest zeitlich zurückstecken sollten. Nur ein Fünftel der Deutschen glaubt, Mütter solcher Kinder sollten voll berufstätig bleiben.

Womöglich sind die Vorbehalte mancher Unionspolitiker gegen den Ausbau öffentlicher Betreuungseinrichtungen durch die Familienministerin aus der eigenen Partei damit nicht nur Reflexe eines politischen Milieus, in dem eine Minderheit noch über ein festes konservatives Weltbild verfügt. Manchmal entfaltet die Skepsis gegen eine allzu moderne Familienpolitik in Deutschland deshalb politische Wirkung an einem Ort, wo man sie gar nicht erwartet hätte. So musste Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) der Union beim Unterhaltsrecht Zugeständnisse machen, weil die Hüter der traditionellen Familie in den Reihen der CDU/CSU einen symbolischen Sieg brauchten, nachdem sie das von der Familienministerin durchgesetzte Elterngeld und den von ihr vorangetriebenen Ausbau der Kinderbetreuung schon als Zumutung empfanden. Im neuen Unterhaltsrecht wurde zwar der Vorrang des Anspruches aller Kinder festgeschrieben; Ex-Ehefrauen aber stehen schlechter da als Mütter, die nicht durch Trauschein mit dem Haupternährer verbunden waren.

Und wenn sich die Eltern nun dazu entscheiden, nicht bis zum Schulbeginn der Kinder zu Hause zu bleiben? Für viele beginnt dann eine Lebenszeit voller Kompromisse. Schon beim Verhältnis zum Arbeitgeber – und den eigenen Kollegen. Wie oft wird hinter dem Rücken der Mütter und Väter getuschelt, wenn die Kinder mal wieder überraschend mit Masern im Bett liegen und die Schreibtische im Büro übervoll sind. Wer das erlebt hat, kann ein Arbeitsumfeld gar nicht genug preisen, in dem es zum unausgesprochenen Selbstverständnis gehört, dass Elternsorgen und berufliche Anforderungen unter einen Hut zu bringen sind. Was im Übrigen für die gesamte Gesellschaft gilt. Viel zu viele Wohngebiete gibt es noch im Land, in denen Spielplätze ganz offensichtlich von kinderlosen Stadtplanern errichtet wurden und nun zum öffentlichen Hundeauslaufplatz mutieren. Und eine „Lego-Ausstellung“, die kürzlich am Berliner Potsdamer Platz von Eltern mit drei Kindern mehr als 60 Euro Eintritt verlangt, kann wohl kaum von einem familienfreundlichen Unternehmen inszeniert worden sein.

Eltern, das beweisen die unzähligen eigenen Initiativen in Sachen Betreuung, haben – zumeist – einen hohen Anspruch an die Qualität der Betreuungseinrichtungen. Das betrifft nicht nur die Öffnungszeiten und ein vielfältigeres (nicht-staatliches) Angebot an Tagesmüttern und Betreuungseinrichtungen. Eltern wollen ihre Kinder tagsüber vor allem in den Händen von qualifizierten und engagierten Erzieherinnen und Erziehern wissen. Musik, Spiel im Freien, kreative Anregung zum Malen, Schreiben, Rechnen, Naturbeobachten, dazu gesundes Essen und menschliche Wärme: Das bloße Vorhandensein einer Kita oder eines Schulhortes – quasi als Aushängeschild für Kommunalpolitik – ist zu wenig. Und eine Gesellschaft wie die deutsche, in der sich Bildungspolitiker zwar mit High-tech-Strategien befassen, aber die Ausbildung von Erziehern und Kleinkindpädagogen vernachlässigen, zeigt kaum, dass das Interesse von Eltern wirklich ernst genommen wird.

Viel wird in diesen Tagen übers Geld gestritten. Und mit einigem Erstaunen müssen sich die Eltern von der Politik darüber belehren lassen, dass sie ja schon zu den privilegierten Subventionsempfängern gehören. 185 Milliarden Euro sollen schließlich mehr oder weniger Jahr für Jahr in ihre Taschen fließen. Eine wirklich große Summe. Und doch beantwortet niemand die Frage, warum trotzdem die Entscheidung für Kinder das größte Risiko in sich birgt, in Armut zu fallen. Kostenlose Kindergärten, einen eigenen (angemessenen) Steuerfreibetrag für Kinder, Kinderzuschläge für Kleinstverdiener: Das sind alles Wünsche von Eltern an die Gesellschaft, die zwar von einzelnen Politikern gern in Mikrofone gesprochen, die aber aus allen möglichen Gründen wieder verworfen werden. Vielleicht kann der so heftige Kampf um die Krippenplätze diesen Kreislauf ja durchbrechen. Ein Anfang ist zumindest gemacht.

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