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Politik: Was haben Sie gegen den Bundeskanzler, Herr Bsirske? Der Verdi-Vorsitzende über die Rolle der Gewerkschaften bei Sozialreformen

Herr Bsirske, wie ist Ihr Verhältnis zum Bundeskanzler? Es war schon mal besser.

Herr Bsirske, wie ist Ihr Verhältnis zum Bundeskanzler?

Es war schon mal besser. Aber da musste man auch noch nicht den Eindruck haben, dass Teile des eigenen Wahlprogramms als eine Art Betriebsunfall angesehen würden.

Es gibt Berichte, wonach sich bei Gerhard Schröder die Nackenhaare sträuben, sobald er Ihren Namen hört.

Das habe ich auch gelesen, in seinem Nackenhaar aber bislang nichts Auffälliges bemerkt.

Sie finden noch offene Ohren im Kanzleramt?

Ich würde mir wünschen, dass dies bei Themen wie Steuergerechtigkeit, Unterstützung für unsere Städte und Gemeinden, Reform der gesetzlichen Krankenversicherung, Arbeitslosenhilfe oder Kündigungsschutz in stärkerem Maße der Fall wäre. Da gibt es unterschiedliche Positionen, über die weiter zu sprechen sein wird.

Nach dem Scheitern des Bündnis für Arbeit bleiben Sie also im Gespräch?

Selbstverständlich. Es gibt Übereinstimmung in wichtigen Grundwerten und auch in vielen Einzelfragen. Dass es nicht gelungen ist, eine tragfähige Grundlage für ein Bündnis von Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zu finden – dafür lagen die Vorstellungen zu weit auseinander. Und dass die Arbeitgeber zu verbindlichen Absprachen nicht bereit und in der Lage waren, heißt ja nicht, dass nicht weiter miteinander geredet und in Verhandlungen um Gemeinsamkeiten gerungen wird.

Wie geht es weiter?

Der Kanzler hat für den 14. März eine Regierungserklärung angekündigt. Die Erwartungen sind groß. Wir werden analysieren, was er vorträgt und sehen, ob es geeignet ist, die notwendigen Impulse zu geben für den Arbeitsmarkt und für die Menschen in unserem Land.

Sie sind vor zwei Jahren mit dem Image eines Reformers an die VerdiSpitze gewählt worden. Seitdem ist viel passiert: Mit ihrer Neidkampagne gegen Reiche und für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer haben sie sich als lautstärkster Klassenkämpfer im Gewerkschaftslager profiliert. Warum?

Was nennen Sie Klassenkampf? War das Aussetzen der Vermögenssteuer kein Klassenkampf, die Forderung nach ihrer Einsetzung aber ja? Was ist das für eine Logik. Und was heißt hier Neidkampagne? Ich bin dafür, dass die mit den breitesten Schultern in der Gesellschaft auch ihren Beitrag zur Bewältigung gesellschaftlicher Aufgaben leisten. Das hat nichts mit Neid zu tun, sondern damit, wie wir den Herausforderungen gerecht werden können, die sich in unserer Gesellschaft stellen – zum Beispiel auf dem Bildungssektor oder bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch dringend benötigte öffentliche Investitionen.

Gegen die Vermögenssteuer ist nicht nur der Bundeskanzler, sondern auch der grüne Koalitionspartner und die Wirtschaft, weil Unternehmen in ihrer Substanz belastet würden.

Vermögenssteuern sind in allen wichtigen Industriestaaten üblich, zum Teil mit Steuersätzen, die weit über dem Niveau liegen, das für die Bundesrepublik, beispielsweise von SPD-Ministerpräsidenten oder von Verdi in die Diskussion gebracht worden ist – ohne dass man aus den USA oder Großbritannien etwa gehört hätte, dass dort die Vermögenssubstanz der Unternehmen weggesteuert würde.

Sie trommeln auch gegen die vorsichtige Reform des Ladenschlusses. Warum kämpfen sie sich an Themen ab, für die es keine politischen Mehrheiten gibt?

Auch gegen parteipolitische Mehrheiten bleibt richtig, dass die Erfahrungen mit der Liberalisierung des Ladenschlusses anders aussehen als die vollmundigen Ankündigungen der Politik. Mitte der 90er Jahre wurde angekündigt, eine Liberalisierung des Ladenschlusses bringe 50000 zusätzliche Arbeitsplätze. In Wirklichkeit gab es Ende der 90er Jahre im Einzelhandel 250000 Arbeitsplätze weniger als vier Jahre vorher. Und der Trend zur grünen Wiese und in die 1A Verkaufslagen der Großstädte hatte einen enormen Schub bekommen – zu Lasten der wohnortnahen Versorgung und zu Lasten mittelständischer Geschäfte.

Nun versteht Wirtschaftsminister Wolfgang Clement die Lockerung des Ladenschlusses und des Kündigungsschutzes gewissermaßen als symbolische Taten, mit denen die Reformfähigkeit der Bundesrepublik belegt wird.

…und erklärt zugleich, ihre Bedeutung werde überschätzt. Die Lockerung des Kündigungsschutzes bringt für den Arbeitsmarkt gar nichts – das ist die Erfahrung der 90er Jahre. Auch deswegen konnte Rot-Grün sie ja rückgängig machen. Anstatt nach Symbolen zu haschen, sollten wir uns auf das konzentrieren, was wirklich etwas bringt.

Zum Beispiel?

Die deutsche Wirtschaft ist nach wie vor enorm exportstark. Unser Problem ist seit Jahren die Binnennachfrage, sie ist viel zu schwach, um die Konjunktur auf einen robusten Wachstumskurs zu bringen.

Ihre Nachfragetheorie stößt an Grenzen. Die zuletzt kräftigen Tariferhöhungen haben die Konsumfreude der Verbraucher genauso wenig stimuliert wie die Milliardenentlastungen durch die Steuerreform 2001.

Es geht dabei nicht nur um die Verbraucher. Genauso wichtig ist der Einbruch bei den öffentlichen Investitionen. Die finanzielle Situation der Städte und Gemeinden ist so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht, die Kommunen haben kein Geld, um Schulen und Straßen instand zu halten. Wir brauchen dringend eine Reform der Gemeindefinanzen. Es kann nicht überzeugen, wenn einerseits die Knappheit der öffentlichen Kassen beklagt wird, andererseits aber genug Geld da ist, um den Reichsten im Land Jahr für Jahr Milliardenbeträge zu schenken, indem auf die Vermögenssteuer verzichtet wird und Unternehmen mit satten Gewinnen steuerfrei gestellt werden.

Ihr Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst hat die Notlage der Kommunen weiter verschärft.

Der Abschluss ist von beiden Seiten angenommen worden. Er ist nicht die Ursache der gegenwärtigen Finanzmisere, konnte sie aber auch nicht beseitigen. Er geht in Ordnung, weil auch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst erwarten können, für gute Arbeit angemessen bezahlt zu werden.

Und der Steuerzahler soll nun die Tariferhöhungen und auch noch ein Konjunkturprogramm der Kommunen finanzieren?

Wir brauchen als Sofortprogramm rund 20 Milliarden Euro, die die Kommunen sofort in Infrastruktur, in Bildung, Forschung und Entwicklung investieren. Bei so einem Programm können wir uns ruhig einmal die Amerikaner als Vorbild nehmen, die mit enormen Mitteln versuchen, ihre Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Die USA bestimmen ihre Stabilitätskriterien so, dass Zukunftsinvestitionen bei der Defizitermittlung ausgenommen werden. Es macht durchaus Sinn, die europäischen Stabilitätskriterien in diese Richtung weiterzuentwickeln.

Und das bringt die Wirtschaft in Schwung?

20 Milliarden Euro – das bringt rund 500 000 Arbeitsplätze und etwa einen Prozentpunkt zusätzliches Wachstum. In einer Situation, wo alle möglichen Wissenschaftler und Politiker orakeln, ob das Wachstum in diesem Jahr bei 0,7 oder 0,9 Prozent liegt, wäre ein Prozentpunkt schon eine ganze Menge.

Und wer soll das bezahlen?

Dazu bieten sich verschiedene Bausteine an: Eine höhere Verschuldung, weil der Maastrichter Stabilitätspakt wegen der Rezessionsgefahr kein Dogma sein darf; eine Erhöhung der Erbschafts- und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer sowie schließlich die Steuern der Unternehmen. Es ist ein untragbarer Zustand, dass zum Beispiel in München die Konzerne ihre Steuerbelastung gegen Null drücken können. Die Allianz, BMW, die Bayerische Hypo-Vereinsbank und Siemens zahlen keinen Cent Gewerbesteuer.

Sie wollen also durch höhere Belastungen die Konjunktur unter Dampf kriegen?

Nein. Es geht um ein gerechteres Steuersystem, in dem alle ihren Beitrag leisten müssen. Deshalb müssen die Fehler der Steuerreform, die zu einer Privilegierung der Kapitalgesellschaften geführt haben, korrigiert werden, eine Forderung, die im Bundestagswahlkampf zu Recht auch der Kanzlerkandidat der Union vertreten hat.

Finden Sie sich mit dieser Position bei Ihrer Partei, den Grünen, noch repräsentiert?

Auch bei den Grünen gibt es ja bekanntlich unterschiedliche Strömungen und dabei offensichtlich auch Abgeordnete, die sich gar nicht genug beeilen können, bei den wirtschaftspolitischen Positionen der FDP anzukommen. Ob das freilich auch die Partei repräsentiert, daran darf man getrost zweifeln.

Vielleicht nähern sich Grüne den FDP-Positionen, weil die mehr Wachstumsdynamik versprechen.

Warum sollte die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten mehr Wachstum bringen? Die rot-grüne Koalition sollte das machen, wofür sie gewählt worden ist – eine sozialökologische Modernisierung der Gesellschaft vorantreiben, die Innovation und Gerechtigkeit vereint, Arbeitsplätze schafft und die sozialen Sicherungssysteme stabilisiert, aktuell vor allem im Gesundheitswesen.

Und wie ?

Durch bessere Qualität und höhere Effizienz. Nach einer Studie der Stiftung Warentest sind 25 Prozent aller verschriebenen Medikamente bestenfalls wirkungslos, schlimmstenfalls kontraproduktiv. Allein in der Medikamentenversorgung steckt eine Reserve von sieben Milliarden Euro.

Das reicht nicht mal, um den Beitragssatz um einen Prozentpunkt zu senken.

Es ist ein wichtiger Schritt. Hinzu kommt die Integration von ambulanter und stationärer Versorgung sowie mehr Effizienz in den Kassen.

Selbst wenn diese Potenziale voll ausgeschöpft sind, werden die Sozialabgaben nicht auf 40 Prozent gedrückt werden.

Seit der Vereinigung fließen vier Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts in den Transfer von West nach Ost. Und diese Mittel stammen zum größten Teil aus den Sozialkassen. Wenn wir diese versicherungsfremden Leistungen da rausnehmen und mit Steuern finanzieren, dann kämen wir auf eine Sozialabgabenquote von unter 40 Prozent.

Warum fällt Ihnen immer nur Umverteilen und nie Umsteuern ein?

Falsch interpretiert: Steuern zum Beispiel sollen steuern. Wenn durch steuerpolitische Entscheidungen die Kommunalhaushalte eingeschränkt werden, geht davon ein starker Steuerungsimpuls aus –in Richtung Verkauf städtischen Tafelsilbers, in Richtung Privatisierung, in Richtung Arbeitsplatzabbau.

Wann sind Sie bereit, über Sparen zu reden?

Bleiben wir im kommunalen Bereich. Verdi beteiligt sich hier seit Jahren an Konsolidierungsprogrammen und daran, die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Sektors zu verbessern. Wir treten aber auch dafür ein, die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen zu verbessern, damit sich die Verantwortlichen nicht wie in einem Laufrad immer schneller drehen, um am Ende schlechter dazustehen, als zu Beginn. Sparmöglichkeiten gibt es auch in anderen Bereichen, etwa im Gesundheitswesen.

Würden Sie die Abschaffung des Krankengeldes mitmachen?

Für Ideen, die die Kranken bestrafen, ist schon Helmut Kohl abgewählt worden.

Sind Sie ein Blockierer?

Ich möchte mich für Wandel engagieren, wo er notwendig und sinnvoll ist. Ich stehe nicht für ein „weiter so wie bisher“. Es gibt viele Dinge, die verändert werden müssen. Dass ich dafür eintrete, dass dabei Arbeitnehmerinteressen nicht auf der Strecke bleiben, versteht sich von selbst.

Ist es gerecht, eine Politik allein zu Gunsten derjenigen zu machen, die in den Gewerkschaften den vollen Beitragssatz bezahlen?

Wenn dies zuträfe, sicher nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Wer verteidigt denn die Höhe der Arbeitslosenhilfe? Und wir waren es doch, die für Arbeitszeitverkürzung eingetreten sind, auch unter Inkaufnahme niedrigerer Lohnabschlüsse, um Arbeitsplätze zu schaffen.

Das Gespräch führten Alfons Frese und Ursula Weidenfeld.

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