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Politik: „Was ist der Soldat ohne Wehrpflicht?“ Bundesverteidigungsminister Struck sieht die Zukunft

der Truppe vor allem im internationalen Engagement

Herr Struck, die Frage klingt vielleicht ein bisschen komisch. Aber trotzdem: Ist die Bundeswehr für die sicherheitspolitischen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte richtig aufgestellt?

Wenn unsere Reform abgeschlossen sein wird im Jahr 2010 – ja. Wir können dann die Aufgaben erfüllen, die wir der Bundeswehr gestellt haben. Erstens: Einsatz im Ausland mit der Fähigkeit, im multinationalen Verbund schnell zu reagieren. Zweitens: Landesverteidigung, wenn es denn erforderlich werden sollte.

Nehmen wir aber einmal den Fall Kosovo: Dort haben deutsche Soldaten improvisieren müssen, als sie ohne geeignete Ausrüstung randalierenden Demonstranten gegenüberstanden. Darum noch einmal die Frage: Ist die Bundeswehr rundum richtig aufgestellt?

Wenn gemeint ist, ob wir uns auf mehr Polizeieinsätze einstellen müssten – dann sage ich: Nein. Was wir tun, ist nach wie vor im Schwerpunkt ein militärischer Einsatz. Dafür sind die Soldaten ausgebildet, dafür sind sie auch ausgerüstet.

Was aber nicht weiterhilft ...

... wenn man es mit Situationen zu tun hat wie im März im Kosovo, wo man sich einer demonstrierenden Menge gegenübersieht und darauf möglicherweise abgestuft reagieren muss. Darauf war die Bundeswehr nicht ausreichend eingestellt. Es gab rechtliche Hindernisse – wir durften kein Pfefferspray oder Tränengas einsetzen –, und es fehlte an Schutz- und Abwehrausrüstung wie Schilden, Schlagstöcken und anderem. Diese Hindernisse sind jetzt beseitigt.

Das heißt doch aber, die Bundeswehr wird dort zur Hilfspolizei, oder?

Nein, ich bin nach wie vor der Auffassung, dass wir uns konzentrieren müssen auf militärische Einsätze im Rahmen von Stabilisierungsaktionen und nicht auf polizeiliche. Wenn der Schwerpunkt sich auf polizeiliche Aufgaben verlagert, sind andere gefordert. Im Kosovo ist das die UN-Polizei Unmik. Von der gibt es zu wenig, deshalb muss die militärische Präsenz im Augenblick hoch bleiben. Aber das kann nicht der Dauerzustand sein.

Lässt sich das denn wirklich so scharf noch trennen in Soldat und Polizist?

In einem Auslandseinsatz ist die Trennung schon schwierig. Wenn Sie Patrouille fahren in Kabul oder in Feisabad, dann kann man sagen: Die Bundeswehr nimmt die Aufgaben einer Polizeieinheit wahr. Das ist aber nur eine äußere Bewertung nach dem Augenschein. Inhaltlich ist es so, dass wir mit unseren gepanzerten Fahrzeugen und der Bewaffnung, mit der unsere Soldaten auftreten, eine andere Autorität verbreiten als Polizisten. Die Trennung im Auslandsmandat ist schwierig, zugegeben. An der Trennung nach innen ändert das gar nichts.

In entlegenen Weltgegenden wie Kundus oder gar Feisabad kann man aber nicht nach Lage die Kräfte austauschen. Gibt es bei Ihnen Überlegungen, die Truppe für solche vorgeschobenen Einsätze noch einmal besonders polizeilich auszubilden?

Wir haben in Kundus und in Feisabad auch deutsche Polizisten. Die Schwierigkeit ist immer, genügend Beamte dafür aufzubringen. Der Dienst dort ist ja kein Vergnügen. Und im Gegensatz zu mir können die Landesinnenminister ihre Mitarbeiter nicht verpflichten, dorthin zu gehen. Das geschieht alles auf freiwilliger Basis.

Trotzdem haben Sie neulich bei Ihrem Besuch in Feisabad angekündigt, auch dort solle die Bundeswehr Ausrüstung für „riot control“, also für das Eingreifen gegen Demonstranten bekommen.

Das ist angelaufen, weil die Soldaten ja schon in ihren ersten Tagen mit einer ähnlichen Situation einer aufgebrachten Menge zu tun hatten.

Im Inneren, sagen Sie, bleibt die Trennung klar. Aber auch da gibt es Fragen. Die Opposition wirft Ihnen die Vernachlässigung der Heimatschutzaufgaben zugunsten von Einsätzen im fernen Ausland vor.

Ich halte diese Kritik für unberechtigt. Wir werden 147 000 Soldaten als Unterstützungskräfte hier im Land behalten, wir haben die Stabilisierungskräfte, die wir natürlich im Fall eines Krieges zurückholen würden, und Gleiches gilt natürlich für die Eingreifkräfte. Aber man muss doch wirklich fragen: Reden wir eigentlich über reale Situationen? Viele Staaten des früheren Warschauer Pakts sind heute Verbündete. Außerdem würde ein Angriff auf unser Land ein Angriff auf Nato-Gebiet sein, also den Bündnisfall auslösen und alle anderen Partner inklusive der USA zum Beistand verpflichten. Diesem Bündnis steht nirgends eine vergleichbare Militärmacht gegenüber.

Das alles gilt zweifelsfrei für den klassischen Krieg. Wir reden aber zunehmend über so genannte asymmetrische Konflikte: Untergrundaktionen, Terrorismus. Verändert das nicht die Anforderungen an Heimatschutz ganz grundlegend?

In den Fällen, von denen Sie reden, geht es um eine Bedrohung der inneren Sicherheit. Das ist klassische Gefahrenabwehr, Aufgabe von Polizei und Nachrichtendiensten. Die Bundeswehr kann auf dem Wege der Amtshilfe wie bei Naturkatastrophen mithelfen, die Folgen etwa eines Anschlags zu begrenzen. Wir können Lazarette bereitstellen und vieles mehr.

Die Bundeswehr nur als eine Art Technisches Hilfswerk?

Mehr wird von uns nicht verlangt. Ich kann doch nicht von einem Soldaten erwarten, dass er zur Abschreckung von Terroristen durch die Straßen Berlins patrouilliert oder die S-Bahn bewacht! Das ist nicht Aufgabe von Militär, und dabei soll es auch bleiben.

Sie haben selbst Lazarette erwähnt. Eine Kritik an Ihrer Bundeswehrreform lautet: Die Kapazität für das, was früher einmal Zivilschutz hieß, ist so weit abgesenkt worden, dass wir Probleme kriegen könnten.

Das ist falsch. Wir werden so genannte Zentren der zivil-militärischen Zusammenarbeit neu installieren. Diese Zentren wird es im Norden, im Süden, im Osten und im Westen geben. Dort konzentrieren wir entsprechendes Gerät, um bei einer Flut, einem großen Eisenbahnunglück oder anderen Katastrophen helfen zu können, ohne ganz lange Anmarschwege zu haben. Wir haben doch gezeigt, 2002 an der Elbe, dass wir mit über 40 000 Soldaten der Lage Herr werden konnten. Die kamen aus der ganzen Republik, übrigens ganz egal, wo ihre Kasernen lagen. Und übrigens waren das ganz viele Wehrpflichtige.

Gutes Stichwort. Sie haben in der SPD derzeit noch eine relativ deutliche Mehrheit für die Wehrpflicht. Aber selbstverständlich ist die nicht mehr, es wird diskutiert, die Jungen schütteln den Kopf. Könnte es sein, dass die Wehrpflicht so eine Art geistig-kulturelles Auslaufmodell wird?

Es könnte sein. Ich hoffe das aber nicht. Viele Jüngere meinen, wir brauchen die Wehrpflicht nicht mehr, weil die neuen Aufgaben besser von Leuten erledigt werden können, die das als Beruf machen. Das ist auch am Sonnabend bei unserem SPD-Wehrpflichtkongress ja deutlich geworden. Man muss aber sehr genau abwägen, welche Folgen die Abschaffung der Wehrpflicht hätte. Nicht nur finanzielle Folgen. Welche Stellung hätte ein Soldat in der Gesellschaft, wenn es nur noch Berufs- und Zeitsoldaten gäbe?

Keine andere als heute, sagen Ihre Kritiker, und werfen Ihnen Nostalgie vor.

Ich weiß, ich argumentiere da auch gegen eine Art Zeitgeist. Aber ich meine, man kann gut dagegen halten.

Die SPD will ihre Haltung zur Wehrpflicht erst im November 2005 festlegen. Fürchten Sie keinen Dauerstreit?

Nein. Es wird eine innerparteiliche Diskussion geben. Wir werden die Ergebnisse unseres gestrigen Kongresses den Mitgliedern zur Verfügung stellen. Jeder soll sich eine Meinung bilden können. Da wird es das eine oder andere öffentliche Bekenntnis geben, aber das ist normal.

Vermehrt auch von Ihnen?

Jeder weiß, welche Position ich habe.

Ihr grüner Koalitionspartner wird nicht locker lassen.

Ich akzeptiere, dass die Grünen da anderer Meinung sind. Aber das tut unserer guten Zusammenarbeit ansonsten keinen Abbruch.

Wenn Sie 2006 noch einmal Gelegenheit erhalten sollten, mit den Grünen Koalitionsverhandlungen zu führen ...

Das strebe ich an!

... halten Sie dann Ihre Position gegen absehbar wachsenden Druck durch?

Die Entscheidung fällt im Jahr 2005. Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder bleibt die SPD bei ihrer Position, oder die SPD schließt sich der Haltung der Grünen an. So oder so werden daran aber keine Koalitionsverhandlungen scheitern.

Wenn die SPD sich dann entschieden hat ...

... dann ist das eine Sache, die lange hält.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Sven Lemkemeyer. Das Foto machte Mike Wolff.

Der Jurist

Peter Struck wurde am 24. Januar 1943 in Göttingen als Sohn eines Autoschlossers geboren. Dort und in Hamburg studierte er Rechtswissenschaften und arbeitete später in der Verwaltung der Hansestadt. Der SPD trat er 1964 bei.

Der Fraktionschef

Seit 1980 ist Struck Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 1990 bis 1998 war er Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, nach dem Wahlsieg von Rot-Grün 1998 wurde er Fraktionsvorsitzender seiner Partei.

Der Minister

Als Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping über seine Swimmingpool- und Honorar-Affären stolperte, übernahm Struck das Amt kurz vor der Wahl 2002. Im Sommer 2004 erlitt er einen Schlaganfall, den er zunächst vor der Öffentlichkeit verheimlichte. Sein wichtigstes Thema ist derzeit die Reform der Bundeswehr. Tsp

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