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Serie "Weissensee": Lisa Wagner, Florian Lukas, Joerdis Triebel, und Florian Stetter

© imago/APP-Photo

TV-Serie über die DDR: „Weissensee“ hilft, uns unserer Geschichte zu stellen

Erinnern braucht Nähe und Emotionen. Der Erfolg der Serie „Weissensee“ zeigt, wie groß das Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung mit der deutsch-deutschen Vergangenheit ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Jedes Jahr ein Mal feiern die Deutschen am 3. Oktober den Tag ihrer Wiedervereinigung. Staatstragende Reden werden gehalten, es gibt Beteuerungen der Freude über das Ende des Kalten Krieges und die historische Chance, die zwei Teile Deutschlands wieder zusammenzufügen. Volksfeste gibt es, Einheitsrummel, mal im Westen, mal im Osten. Doch erreichen diese Rituale die Menschen nach fast dreißig Jahren überhaupt noch? Wohl kaum.

Wirkliches Erinnern funktioniert anders. Es braucht Nähe und Emotionen. Aus Geschichten von Menschen, die Geschichte erlebt haben, kann Identifikation entstehen. Zur besten Sendezeit zieht jetzt wieder das Familienepos „Weissensee“ sein Publikum in eine Epoche zurück, die den einen längst fern geworden und den anderen fremd geblieben ist. Den Jungen, weil sie die DDR nie erlebt haben. Den Alten, weil die Zeiten rasen und man ja irgendwann aufhören muss, immer und immer wieder die Vergangenheit aufzuwärmen.

Und natürlich den Westdeutschen, die wenig Lust oder wenig Gelegenheit hatten, sich mit dem auseinanderzusetzen, was Sozialismus im Alltag der Menschen wirklich bedeutet hat. Sie alle verfolgen jetzt wieder millionenfach das Leben der Stasi-Familie Kupfer, und es zeigt sich am Erfolg dieses Films, dass es nach wie vor ein großes Bedürfnis gibt, sich mit diesem Teil der deutschen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Auch nach dreißig Jahren.

Verständnis wecken

Und zugleich wird klar, welchen Wert jedes noch so kleine persönliche Schicksal haben kann, wenn es um die Bewertung von Geschichte geht. Die wechselseitigen pauschalen Urteile von heute, vom „rechten Osten“ und dem „Westen, der uns plattgemacht hat“, werden nur in dem Maße verschwinden, wie das Verständnis über das Leben der Einzelnen, ihre Motive, ihre Zwänge, wächst. Darin liegt der Wert solcher Filme und es ist gut, dass es sie gibt.

In den ersten Staffeln von „Weissensee“ lebte die DDR in ihren letzten Zügen noch einmal auf. Der Fall der Mauer im November ’89, der Mut der Verzweifelten zum Widerstand. Freiheit statt Diktatur. Und jetzt, in der vierten Staffel, die Frage: Was soll man anstellen mit dieser Freiheit? Der zerplatzte Traum der Bürgerrechtler von einem gerechten und menschlichen Sozialismus im offenen Kampf mit der Macht der D-Mark. „Wir rauschen auf den Kapitalismus zu wie die Titanic auf den Scheiß-Eisberg.“

Angst vor dem, was kommt. Sorge vor der Rache der Opfer von einst und über allem die Frage: War alles falsch, was wir gemacht haben? Den Opfern der SED-Diktatur die Gelegenheit zu geben, die Dokumente ihrer Unterdrückung im Nachhinein einzusehen, war zweifellos richtig. Genauso, wie es bis heute bei der Besetzung von politischen Ämtern legitim ist, die Frage nach der Vergangenheit zu stellen. Aber Papier, und daran erinnert uns „Weissensee“ eben auch, beschreibt nicht in jedem Fall die ganze Wahrheit.

Verantwortung und die Akten

Persönliche Verantwortung passt nur sehr selten zwischen zwei Aktendeckel. Wie aktuell diese Erkenntnis ist, hat zuletzt der Fall Andrej Holm zutage befördert: ein Mann, der die Zukunft der Berliner Wohnungspolitik mitbestimmen, aber zu seiner eigenen Vergangenheit nicht richtig stehen wollte.

Dreißig Jahre sind eine lange Zeit. Und trotzdem hat sie offensichtlich nicht gereicht, um ein zumindest weitgehendes gemeinsames Verständnis von unserer eigenen jüngeren Geschichte zu erlangen. Dieses Ziel jetzt allein den Geschichtsschreibern zu überlassen, wäre aber grundfalsch. Denn die Öffnung des Landes hin zu seinen europäischen Nachbarn, die Zuwanderung fremder Kulturen und auch die Positionierung im westlichen Bündnis verlangen nach Selbstvergewisserung, wenn sie gelingen sollen. Ost und West, das zeigen nicht zuletzt die Debatten um den Umgang mit Russland und die Akzeptanz von Flüchtlingen, trennt hier vieles. Manches erklärt sich aus den Erfahrungen vor und nach dem Mauerfall. Reden wir drüber!

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