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Weißrussland: Im Zeltlager der Opposition

Mehrere hundert Gegner des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko haben heute ihren Protest mit einem Zeltlager in Minsk fortgesetzt. Aber auch in der Hochburg der Opposition unterstützen die Menschen die Aktion nur zögerlich.

Minsk - Die Bedrohung für das Regime von Alexander Lukaschenko rückt mit heißem Pfefferminztee und einer Tüte Milchbrötchen unter dem Arm in Richtung Oktoberplatz vor. «Ein Polizist wies mich mit meiner Thermoskanne an der U-Bahn-Station ab, da habe ich mir eine List überlegt», erzählt die 59-jährige weißrussische Rentnerin Halina mit verschmitztem Lächeln. Die mutmaßliche «Agentin des Westens», wie Präsident Lukaschenko die Opposition nennt, fährt in der Hauptstadt Minsk mit dem Linienbus in Richtung Oktoberplatz, steigt am Haus der Gewerkschaften aus und läuft geschwind hinüber zur Zeltstadt. Dort harren hunderte Regimegegner bei Matsch und Schnee den zweiten Tag aus, um gegen die gefälschte Präsidentenwahl zu demonstrieren.

Ihr Freunde und früheren Arbeitskollegen hielten sie für verrückt, erzählt Halina, während sie einem jungen Mann mit noch spärlichem Bartwuchs ein Milchbrötchen in die Hand drückt. Die große Mehrzahl ihrer Altersgenossen unterstütze Lukaschenko, weil der die Renten auszahlen lasse. «Aber was ist das schon für eine Rente? Umgerechnet 65 Dollar (55 Euro) bekomme ich im Monat», sagt Halina. Seit 1989 demonstriere sie schon für ein unabhängiges Weißrussland. «Alle Nachbarn um uns herum sind frei, nur wir leben noch immer wie in der Sowjetunion», schimpft die Rentnerin, die sich zum Schutz gegen die Kälte eine alte Strickjacke unter den Mantel gezogen hat.

Am Rand des riesigen Oktoberplatzes haben junge Anhänger des Oppositionskandidaten Alexander Milinkewitsch in der Nacht etwa 20 Zelte aufgebaut. Es ist nasskalt, dicke Schneeflocken treiben durch die Luft. Aus Lautsprechern dröhnt weißrussische Rockmusik. Ein Mann müht sich damit ab, einen Zeltnagel zwischen die Pflastersteine zu treiben. Minsker Bürger haben den Demonstranten aus Sympathie für die gemeinsame Sache Gläser mit eingemachten Gurken, frisches Graubrot und Kekse gebracht. Um sich warm zu halten, rufen einige Demonstranten «Schiwe Belarus» (Es lebe Weißrussland). Am Abend, so hoffen sie, kommen wieder 10.000 Menschen auf dem Platz zusammen.

Mit mütterlicher Bestimmtheit drückt die Rentnerin Halina einer neben ihr stehenden jungen Frau einen Becher mit dampfendem Pfefferminztee in die Hand. Halinas Nachbarin, die 25-jährige Psychologin Julia, verneint die Frage, ob sie Angst vor der um den Platz postierten Polizei und den brutalen Drohungen der Staatsführung habe. «Ich bin Mutter eines Kindes unter drei Jahren. Deshalb dürfen sie mich nicht ins Gefängnis werfen», erklärt Julia, die ihren Sohn daheim bei der Mutter gelassen hat.

Weil sie vom staatlichen Gehalt als Psychologin nicht leben könne, schneidere sie zusätzlich in Heimarbeit. Voller Stolz schwenkt die dunkelhaarige Frau eine selbst genähte Fahne in Weiß-Rot-Weiß über ihrem Kopf. «Das ist mein Beitrag zum Protest gegen die Diktatur in meinem Land», sagt die junge Mutter voller Stolz. Weiß-Rot-Weiß waren die Nationalfarben der unabhängigen Republik Weißrussland, ehe Lukaschenko vor 12 Jahren an die Macht kam und alles änderte - inklusive der Staatsflagge.

Ein paar Meter weiter grübelt der Demonstrant Juri - eingehakt in einer Menschenkette - über die Chancen und Ziele der Demonstranten nach. «Noch sind wir viel zu wenige, als dass wir uns der Polizei entgegenstellen könnten», sagt der Mann aus dem Gebiet Brest an der Grenze zu Polen. Aber aus den Regionen seien viele mit der Hoffnung in Richtung Minsk unterwegs, eine Lücke in den Absperrungen und Polizeikontrollen an Straßen und Bahnhöfen zu finden.

«Das Wichtigste ist, dass wir unserem Volk und der ganzen Welt zeigen, dass wir gegen den Wahlbetrug in unserem Land sind», betont Juri, der die Nacht im Freien verbracht hat. Über seinen eigenen Zustand macht er sich keine Sorgen. «Während meiner Armeezeit bei den Grenzschützern mussten wir drei Tage ohne Schlaf auskommen», sagt Juri und zieht sich seinen orangenen Schal fester um den Hals.

Die Farbe Orange steht für die Revolution beim südlichen Nachbarn Ukraine, die Ende 2004 ebenfalls mit einer Zeltstadt mitten in der Hauptstadt begann. Doch im Gegensatz zu den Ukrainern sind die Weißrussen nur sehr schwach organisiert. Wenngleich Minsk als Hochburg der Opposition gilt, unterstützen die Menschen nur zögerlich die Protestaktion. Viele haben Angst davor, durch ihr Bekenntnis zu Demokratie und Freiheit als Feind des Regimes gebrandmarkt zu werden.

Ein Architekturstudent in der Menschenkette rund um die Zelte macht sich keine großen Illusionen über die Dauer der Protestaktion. «Sobald die Wahlbeobachter und die Journalisten aus dem Westen wieder abgereist sind, werden die Polizisten uns festnehmen und uns ins Gefängnis stecken», sagt der junge Mann, der auf seiner Stirn ein blaues Band mit der Aufschrift «Weißrussland nach Europa!» trägt.

Zwei Polizisten schlendern in schwarzem Kampfanzug vorbei und lassen demonstrativ die Gummiknüppel am Gürtel baumeln. Sie machen nicht den Eindruck, als ob sie in den nächsten Stunden zuschlagen sollen. «Sollen die Demonstranten ruhig noch ein wenig frieren», sagt einer der bulligen Polizisten mit dem Ausdruck von Abscheu im Gesicht. (Von Stefan Voß, dpa)

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