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Politik: „Weltpolitik ist leider keine Physik“

Der Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber über ein Signal vom G-8-Gipfel und einen neuen Atomkonsens

Werden Sie Tony Blair vermissen?

Was für eine Einstiegsfrage… Die ganze Welt wird Tony Blair vermissen – im Guten wie im Schlechten. Er wagt etwas, geht ungewöhnliche Wege. Er hat der Klimapolitik neue Türen geöffnet und alles getan, um die USA an Bord zu bringen. Das ist zwar nicht im gewünschten Umfang gelungen. Aber wenn auf dem G-8- Gipfel in Heiligendamm im Juni endlich ein substanzieller Fortschritt erzielt werden sollte, dann wäre das auch das Verdienst von Tony Blair.

Was wäre ein optimales Ergebnis?

Dass die Erstfassung der G-8-Erklärung, die der deutsche Scherpa vorgelegt hat einstimmig verabschiedet würde. Erstens wäre es ein großartiger Erfolg, wenn sich die G-8-Staaten bei der Energieeffizienz auf verbindliche Ziele einigen könnten. Etwa bis 2020 30 Prozent Energie einzusparen. Zweitens dass ein globaler Kohlenstoffmarkt konzipiert wird, wodurch der europäische Emissionshandel langfristig in ein weltweites System eingebettet würde. So könnte ein globaler Kohlenstoffpreis entstehen, der Investitionen in die korrekte Richtung lenkt. Das dritte Element ist eine langfristige Orientierung für den Klimaschutz, nämlich die globale Erwärmung auf zwei Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung 1750 zu begrenzen, beziehungsweise bis 2050 den Ausstoß an Treibhausgasen weltweit zu halbieren. Wenn wir uns nicht zumindest auf ein wichtiges quantitatives Ziel einigen, dann ist der Gipfel gescheitert.

Wie stehen die Chancen?

Die Verhandlungen sind außerordentlich schwierig. Aber ich weiß, dass die Kanzlerin und die gesamte Regierung ihr bestes geben. Jedes Land bringt Sonderargumente vor: Japan will sich nicht gerne auf ein verbindliches Effizienzziel einlassen, weil das Land da ohnehin voraus ist. Die USA wiederum sagen, sie seien der Motor der Weltwirtschaft und es dürfe nichts verlangt werden, was sie in ihrer Wirtschaftsdynamik hemmt. China und Indien sagen: Das ist Euer Problem, löst das gefälligst. Die gut begründete deutsche Position wird von vielen Seiten attackiert. Wenn es wie in der Physik wäre, würden sich die Gegenkomponenten am Ende aufheben. Aber Weltpolitik ist leider anders.

Wie wichtig ist es, dass der G-8-Gipfel ein Signal für den Klimaschutz gibt?

Es gibt ein Zeitfenster von ein bis zwei Jahrzehnten, weil sonst falsche Investitionsentscheidungen den Irrweg zementieren. Wenn der Gipfel in Heiligendamm ein Erfolg wird, steigen die Chancen für einen Durchbruch im Dezember beim Klimagipfel auf Bali. Wenn dieser er Klimagipfel scheitert, kann der ganze Prozess kollabieren.

Ist die Atomkraft ein Teil der Lösung?

Sie kann, muss aber nicht Teil einer Lösung sein. Das ist eine politische und wirtschaftliche Entscheidung. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keine Notwendigkeit zur vermehrten Kernkraftnutzung. Zudem stellt sich die Frage, ob man in instabilen Weltregionen neue Kraftwerke bauen möchte. Was Deutschland betrifft, könnte man unter Umständen über eine Art Atomkonsens-Folgevertrag nachdenken: Die Konzerne müssten sich verpflichten die Mehreinnahmen, die sie durch eine Verlängerung der Laufzeiten bekämen, in erneuerbare Energien zu investieren. Die Einhaltung dieser Verpflichtung wäre eine Nagelprobe auf die Ernsthaftigkeit, mit der die Konzerne Klimaschutz betreiben. Sie hätten dadurch die Chance, sich selbst zu transformieren.

Die Fragen stellte Dagmar Dehmer.

Hans-Joachim Schellnhuber (57) leitet das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und ist Berater von Kanzlerin

Angela Merkel sowie EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso.

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