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Kunden stehen in Berlin an Bankautomaten.

© Tobias Kleinschmidt/dpa

Wenn das Girokonto ins Minus rutscht: Die Dispozinsen sind überhöht - gerade in der Coronakrise ist das ungerecht

Trotz historisch niedriger Zinsen und Corona verlangen Banken fast 10 Prozent Zinsen für Dispokredite. Warum das inakzeptabel ist. Ein Gastbeitrag.

Julian Merzbacher ist beim Verein „Bürgerbewegung Finanzwende“ zuständig für Verbraucherschutzthemen und Pressearbeit. Nach einer Ausbildung zum Investmentfondskaufmann und Studium der Politik- und Wirtschaftswissenschaften war er bei einer Kommunikationsagentur und als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag tätig.

„Eine Welt ohne Zinsen braucht neue Antworten“: So strahlt es uns aktuell von Werbeplakaten der Deutschen Bank entgegen. Und tatsächlich denkt man an eine solche Welt beim Blick auf die Zinsen, die wir von Banken und Sparkassen bekommen. Sogar Negativzinsen verlangen immer mehr Finanzinstitute. Doch das ist nur der Blick auf die eine Seite der Medaille.

Eine aktuelle Auswertung für Finanzwende zeigt, dass bei den 1240 betrachteten Banken und Sparkassen im Schnitt immer noch fast 10 Prozent für einen Dispokredit aufgerufen werden. Der Dispozins beim „Welt ohne Zinsen-Institut“ Deutsche Bank beträgt übrigens 10,9 Prozent. Doch damit liegt die Bank noch nicht einmal im vordersten Feld. Viele Institute verlangen 11 Prozent und mehr. Trauriger Spitzenreiter ist die Volksbank Oberbayern Südost mit gar 13,75 Prozent.

Von einem Dispokredit spricht man, wenn das Girokonto ins Minus rutscht. Die Kreditsumme darf dabei eine bestimmte Höhe nicht überschreiten, zu der die Bank ihr „Okay“ gegeben hat. Die Höhe der eigeräumten Überziehung richtet sich in der Regel nach monatlichem Einkommen und Geldeingang.

Überhöhte Dispozinsen treffen Menschen, die sowieso wenig Geld haben

Der Dispo kommt insbesondere dann zum Einsatz, wenn Menschen kurzfristig nicht mehr über die Runden kommen. Also genau das, was auch in Zeiten überraschender Krisen wie jetzt auftreten kann. Und überhöhte Dispozinsen treffen also in aller Regel Menschen mit sehr wenig Geld.

In der unverschuldeten Coronakrise sollten Menschen nicht mit Dispozinsen von 10 Prozent und mehr belastet werden. Dabei geht es nicht darum, den Zinssatz auf null zu setzen. Denn bei den Banken und Sparkassen fallen zum Beispiel Kosten für die flexible Zurverfügungstellung eines solchen Kredits an. Zudem könnte ein Nullzins für manche Menschen den falschen Anreiz setzen, sich zu viel zu verschulden. Und natürlich ist es legitim, dass die Institute auch mit dieser Kreditart einen gewissen Gewinn erzielen.

Warum Dispokredite zu teuer sind

Aber selbst bei einer kleinen Regionalbank, für die es vielleicht etwas teurer ist, sich Geld zu beschaffen und die Filialen aufrecht zu erhalten, sind 10 Prozent und mehr einfach zu viel. Es ist historisch günstig für die Banken, sich Geld zu beschaffen.

Und es kommt nur sehr selten vor, dass jemand seinen Dispokredit nicht zurückzahlt. Das lässt sich aus den Daten schließen, die zu dieser Thematik öffentlich zugänglich sind. Wohl nicht ohne Grund lassen sich viele Banken und Sparkassen an dieser Stelle aber lieber gar nicht erst in die Bücher schauen. Die Zahl der Ausfälle sollte jedoch schon allein deshalb gering sein, da die Institute eine Auswahl vornehmen, wer einen Dispo bekommt und in welcher Höhe.

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In einem funktionierenden Markt sollten Zinssätze dann sinken, wenn sie überhöht sind. Doch Teile der Kreditwirtschaft können sich überhöhte Dispozinsen erlauben, weil der Zinssatz in der Regel kein entscheidendes Wettbewerbsmerkmal bei der Wahl des Girokontos oder der Bank ist.

Zu hohe Dispo-Zinssätze sind ein Problem, das der Markt nicht von selbst regelt

So ist die Spreizung der Zinssätze von Null bis 13,75 Prozent enorm. Und wenn dann die Kunden erstmal im negativen Bereich sind, können sie nicht so einfach zu einer anderen Bank wechseln. Der Kredit bleibt ja bestehen. So bleibt nicht einmal dieses Mittel, um sich zu wehren. Der Markt löst dieses Problem deshalb seit Jahren nicht.

Julian Merzbacher setzt sich beim Verein „Bürgerbewegung Finanzwende“ für Verbraucher ein.
Julian Merzbacher setzt sich beim Verein „Bürgerbewegung Finanzwende“ für Verbraucher ein.

© privat

Banken und Sparkassen müssen also von sich aus ihrer Verantwortung gerecht werden. Zumal die Banken von den ganzen Corona-Hilfsmaßnahmen des Staates direkt und indirekt profitieren. Möglich wäre das. Mehrere, teils regionale Kreditinstitute zeigen seit Jahren, dass es anders geht. Sie verlangen Dispo-Zinsen von deutlich unter zehn Prozent. Manche haben wegen der Corona-Krise, die Zinsen sogar zwischenzeitlich gesenkt.

Zweistellige Zinssätze sind nicht zu rechtfertigen – gerade während der Coronakrise nicht

Das Ganze war jedoch bei den meisten Banken nicht von langer Dauer. Dennoch zeigt auch dies, dass es Anpassungsspielraum nach unten gäbe. Und zunehmend senken auch einzelne Banken die Dispozinsen, weil sie durch offene Briefe von „Finanzwende“ und die öffentliche Berichterstattung unter Druck geraten sind. Zweistellige Zinssätze sind gerade jetzt einfach nicht mehr zu rechtfertigen.

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Das große Problem der überhöhten Dispozinsen ist: Hier werden genau die Falschen übertrieben zur Kasse gebeten. Es geht um Menschen, die oft eh schon wenig Einkommen und Rücklagen haben. Und das sind viele: Umfragen bestätigen immer wieder, dass Millionen von Menschen auf den Dispo angewiesen sind. 

Hohe Dispozinsen führen nicht selten zu Überschuldung

Beim Dispokredit geht es aus den Augen vieler nicht um hohe Zinsbelastungen. Doch für Menschen mit wenig Geld können zweistellige Dispozinssätze die eine Belastung zu viel sein. Und so sprach auch die Bundesregierung bereits im Januar 2019 von übertrieben hohen Dispozinsen, die nicht selten zu Überschuldung führten.

Schon 2019 konnte rund jeder zehnte Erwachsene vermutlich seine Rechnungen über längere Zeit nicht mehr komplett bezahlen. Und nun haben wir es mit einer immensen Krise zu tun. Vielen Menschen brechen immer wieder kurzfristig und überraschend Aufträge und Jobs weg.

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Noch hat die Überschuldung nicht zugenommen, da der Staat an einigen Stellen einspringt und viele Menschen noch mehr sparen. Aber so manche notwendige Anschaffung lässt sich nicht ewig verschieben. Millionen Menschen sind immer noch in Kurzarbeit. Im Oktober 2020 waren über 550.000 Menschen mehr arbeitslos als 2019. 

Corona trifft Haushalte mit niedrigem Einkommen wirtschaftlich besonders hart

Erst vor wenigen Tagen hat das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung nochmals festgehalten, dass insbesondere Haushalte mit geringen Einkommen von Corona besonders betroffen sind und große Einnahmeausfälle erleiden.

Viele Banken und Sparkassen vertiefen mit ihrem Agieren bei den Dispozinsen die Kluft zwischen Arm und Reich. Dies ist gerade bei laut Gesetz gemeinwohlorientierten Sparkassen kritisch zu sehen, aber auch so manche Genossenschaftsbank steht ihren eigenen Mitgliedern, in dieser kritischen Situation nicht zur Seite. Statt mit der eigenen Kundschaft unfair umzugehen, könnten viele Banken und Sparkassen angesichts ihres schlechten Images die Chance nutzen und zeigen, dass sie Helfer in der Not sind.

Aber es ist leider ein bekanntes Muster: Viele Akteure der Finanzbranche verlangen gerade von Menschen mit wenig Geld überhöhte Gebühren und Zinsen, sei es beim Inkasso, dem Basiskonto, der Restschuldversicherung oder eben bei den Dispozinsen. Sie meinen offenbar, gerade an diesen Stellen besonders viel Gewinn machen zu können. Sie wissen wohl leider nur zu gut, dass zahlreiche Betroffene sich nicht so stark wehren können oder keine Wahl haben. Dieses Vorgehen ist zum Schaden der Gesellschaft und muss enden.

Julian Merzbacher

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