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Ein Kreuz in Schwarz-Rot Gold? Das ist ein Widerspruch in sich.

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Pegida und das Christentum: Wenn die Gottlosen für das christliche Abendland demonstrieren

Die Angst vor einer Islamisierung Deutschlands ist da am größten, wo die christlichen Bindungen am geringsten sind. Die Pegida-Demonstranten sollten mal wieder in die Kirche gehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Als Phantomschmerz bezeichnet man in der Medizin Schmerzempfindungen an einem Körperglied, das amputiert worden ist. Da tut also etwas weh, was nicht mehr vorhanden ist. Dafür, wie diese Schmerzempfindungen entstehen, gibt es nach wie vor keine unumstrittene Erklärung. Dass es aber Phantomschmerzen auch außerhalb der Wissenschaft gibt, ist sicher. Die montäglichen Demonstrationen der Pegida-Bewegung in Dresden sind, wenn man die Beweggründe der Protestierer sorgfältig analysiert, zum Beispiel als Indiz für Phantomschmerzen zu verstehen.

Pegida – das steht für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. In den Hochzeiten dieser Bewegung brachte ihr Initiator, Lutz Bachmann, bis zu 50 000 Menschen dazu, Parolen skandierend durch Dresden zu laufen. Zuletzt waren es zwischen 4000 und 10 000, je nachdem, wer gezählt hat. Rufe wie „Lügenpresse“ sind geblieben, „Merkel muss weg“ hingegen ist ein neuer Zungenschlag. Das geht vermutlich auf die steigende Zahl von Kriegsflüchtlingen aus Syrien zurück, die nicht nur in diesen Kreisen der Bundeskanzlerin angelastet werden, weil sie die Dublin-Regelung für Deutschland vorübergehend außer Kraft setzte.

Wie kommunizierende Röhren verhalten sich in Sachsen auch die Zahl der Pegida-Demonstranten und jener zueinander, die sich in Umfragen zu rechten Parteien bekennen. In der Region Deutschlands, die schon lange deutlich brauner ist als der größte Rest der Republik, würden nach einer neuen Umfrage 13 Prozent AfD und fünf Prozent NPD wählen. Es passt also alles zusammen.

Nein, nicht alles. Dass die Demonstranten sich als Patrioten begreifen, ist ihnen unbenommen. Dass sie Angst vor einer Islamisierung Deutschlands haben, eine zulässige Sorge. Ob die berechtigt ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber in Pegida steckt eben nicht nur Patriotisch und Europäer und Islamisierung, in der Kurzformel gibt es ja auch noch das Abendland. Und ob diese Demonstranten wirklich die Angst vor einem Identitätsverlust des Abendlandes für sich beanspruchen dürfen, ob das nicht, auf diesen Personenkreis bezogen, nur noch als Phantomschmerz gelten kann, das ist durchaus eine Betrachtung wert.

Ostdeutschland ist der Teil der Bundesrepublik, in dem es die wenigsten Ausländer und Muslime gibt

Unter Abendland versteht der Duden die „durch Antike und Christentum geformte kulturelle Einheit der europäischen Völker“. Interessant ist nun, dass die Angst vor einer Islamisierung Deutschlands da am größten ist, wo die christlichen Bindungen am geringsten sind. Anders ausgedrückt: Menschen in Deutschland, die kirchlich engagiert sind, haben vor einer steigenden Zahl von Muslimen keine Angst, weil sie sich ihres eigenen religiösen Wertekanons sicher sind. In der früheren DDR aber, die nach einer internationalen Erhebung die mit Abstand gottfernste Region der Welt ist, in der (Sachsen) 81 Prozent der Einwohner ohne ein religiöses Bekenntnis sind, ist die Angst vor dem Islam, einer anderen Religion, am größten. Auch das gehört zum Widersprüchlichen: Ostdeutschland ist der Teil der Bundesrepublik, in dem es die wenigsten Ausländer und Muslime gibt.

Wenn also unsere – unstrittige – Definition von Abendland entscheidend mit den christlichen Wurzeln zu tun hat, dann ist das Pegida-Land vom Abendland allein schon wegen der Eliminierung kirchlicher Traditionen besonders weit entfernt. Wenn das aber nun im Sinne des Phantomschmerzes als Trauer des Körpers über den Verlust eines Teils von ihm verstanden würde, gäbe es einen Ausweg – eine zunächst nur versuchsweise Rückbesinnung auf das christliche Erbe. Das muss ja nicht im Sinne einer Erweckungsbewegung verstanden werden. Es dürfte damit beginnen, dass die Pegida-Demonstranten die schönen sächsischen Kirchen nicht nur als Orientierungspunkte verstehen, sondern sie von innen betrachten, ob mit Gottesdienst oder ohne. Alte Kirchen haben ja auch ohne Pfarrer etwas ungemein Beruhigendes. Man könnte, in Dresden, einmal dem seit 700 Jahren musizierenden Kreuzchor lauschen. Sodann könnte man Hilfswerke – wie Brot für die Welt, Misereor, Caritas, Diakonie – unterstützen. Sie alle tun etwas, damit Menschen in weniger wohlhabenden Regionen der Welt besser leben können. Gegen die Armut und das Elend in Deutschland engagieren sie sich übrigens auch.

All das wäre so etwas wie ein erster Schritt, abendländische Traditionen in Sachsen wieder zu erleben. Und vielleicht ruht dann auch mehr in sich, der heute noch Angst hat vor etwas, was nicht da ist: die Islamisierung Deutschlands. Sie ist ein Phantom.

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